Nach meinem Finish beim Marathon du Mont-Blanc letztes Jahr war für mich klar: ich will auf die Ultra-Strecke! 6.000 positive und negative Höhenmeter sind schon ein hartes Brett, noch dazu gilt dieser Trail als einer der technischsten in Frankreich. Und das will ja schon etwas heißen… Naja, ich dachte mir: „Du hast den Vélan gefinisht, schlimmer kann es mit Sicherheit nicht werden.“
Anfang des Jahres die Ankündigung des Veranstalters: 80 km du Mont-Blanc – dieses Jahr noch härter, wilder und technischer! Hm. Meinen Freund Robert, der sich für den KMV angemeldet hatte, sagte ich noch, sowas würde ich nicht machen, das wäre mir zu schwer – bei einem Blick auf das Profil musste ich das dann doch revidieren: Schließlich hatte ich mit dem Anstieg auf den Col de la Terrasse und die Tête de l’Arolette selbst gleich zwei solcher Mörderdinger drin – und das mit mehr km und Hm in den Beinen und auf größerer Höhe! Das konnte ja heiter werden!
Zugegeben, ein wenig Angst hatte ich schon, es einfach nicht zu schaffen. Mir war klar, dass ich auf einem solchen Profil sehr weit hinten im Feld liegen würde. Finishen, das war das Ziel – bei hoffentlich besserem Wetter als letztes Jahr. Und die Wetteraussichten sahen diesmal gut aus – vielleicht ein bisschen zu gut, denn es sollte der heißeste Tag werden…
4:00 Start Chamonix – toller Start ganz früh am Morgen
Um Punkt 4:00 ging es los in Chamonix in Richtung Brévent – wie immer mit einem kleinen Stau zu Beginn. Dort stand ich dann erstmal einige Minuten mit ein paar Spaniern um mich rum – ein Gefühl wie beim Mallorca Ultra, irgendwie witzig. Bloß der weiße Riese mit dem schneebedeckten Gipfel, den ich im Schein meiner Stirnlampe sah, sagte mir, dass ich jetzt doch nicht auf Mallorca sein kann 😉
Ich liebe ja das Laufen in der Nacht – und noch toller finde ich es, in die Morgendämmerung reinzulaufen – vor allem bei einem so genialen Anblick wie dem Mont-Blanc im Morgenrot! Zum Glück war ich zu diesem Zeitpunkt schon aus dem Wald draußen – und auch wenn ich das Schauspiel nicht wie die schnellen Eliteläufer vom Brévent aus bestaunen konnte – wunderschön war es trotzdem! Bei unserem Aufstieg filmte uns ein Hubschrauber, der dicht über uns kreiste – ich hab mich in dem Video allerdings noch nicht entdecken können 😉
6:44 Brévent – traumhafter Aufstieg im Morgenrot
Nach knapp zweidreiviertel Stunden hatte ich endlich den ersten Gipfel erreicht, den Brévent auf 2455 m Höhe. Das mag sich für 9,1 km recht langsam anhören – und im Vergleich zu den meisten Läufern war es das sicher auch – aber bis dahin gab es immerhin 1517 Hm zu überwinden. Für meine Streckenplanung lag ich recht gut in der Zeit, und auch den ersten VP auf Altitude 2000 erreichte ich ziemlich genau nach Plan um 7:00 – nach einem tollen Downhill durch Schneefelder und über die steile schwarze Skipiste – genial! Schnell noch etwas essen, Stirnlampe verstauen und weiter!
7:57 Flégère – Tête au Vent – „German Torpedo“
Jetzt kam der flache Teil der Strecke. Kaum Höhenmeter, bisschen Wellblechprofil und dann der Anstieg zur Tête au Vent. Bis dahin zumindest vom technischen her nicht zu extrem, lediglich beim Abstieg gab es ein paar haarige Passagen, und ein recht steiler, rasanter Downhill, bei dem ich nochmal so richtig Gas geben und einige Läufer überholen konnte. Nun war auch schon etwas mehr los auf der Strecke- immerhin war es bereits halb 10 – und ein paar englische Wanderer feuerten uns an. Mein schneller Downhill brachte mir dann auch den Namen „German Torpedo“ ein 🙂
10:08 Le Buet – alles im grünen Bereich
Bis dahin also alles im grünen Bereich, ein wenig Zeit vertrödelt hatte ich oben auf der Tête au Vent zwar schon, aber alles immer noch im Rahmen. Nun kam er also, der gefürchtete Anstieg zum Col de la Terrasse, 1355 Hm auf 8 km, wobei die letzten 2 km Steigungen von über 30% aufwiesen. Mittlerweile strahlte die Sonne auch schon mit voller Kraft, was anfangs im Wald auch noch kein Problem war. Auf über 2.000 m allerdings pralle Sonne. Ich näherte mich dem Chalet de Loriaz, wo sich einige Läufer schon um einen Brunnen geschart hatten, um sich mit kaltem Bergwasser zu erfrischen.
Auch ich legte hier eine fast 10minütige Pause ein, denn neben beginnender Hitzeprobleme machte sich mein Rücken dann doch wieder bemerkbar nach den langen Anstiegen mit schweren Gepäck. Kurz Rucksack aus, ein paar Dehnübungen machen – das half wirklich und ich konnte mich an den letzten, schwierigen Teil des Anstieges machen, für den ich ein wenig über eine Stunde kalkuliert hatte – insgesamt wollte ich für diesen Abschnitt 3 Stunden brauchen, knapp 2 war ich schon unterwegs.
13:36 – 13:56 Col de la Terrasse – Hubschraubereinsatz!
Aber wie immer kommt alles anders als man denkt. Der steile Anstieg in der Mittagshitze forderte von mir immer häufigere Pausen ein, und die dünne Höhenluft tat trotz Akklimatisierung wohl auch ihren Teil dazu bei. Immerhin – nicht nur mir ging es so. Kurze Erfrischung im Schneefeld – ein steiler, aber rutschiger Anstieg – und dann hieß es plötzlich: STOP!
Ein Streckenposten hielt uns an und wies uns an zu warten, wo wir gerade waren. Ein Läufer war von einem herabfallenden Stein am Kopf getroffen worden und musste mit dem Helikopter abtransportiert werden! Da kam auch schon der Heli und ließ zwei Mann an einem Seil ab. Unglaublich, was so ein Ding für einen Wind macht, wenn es einem quasi direkt überm Kopf schwebt! Wir kauerten uns an die steile Wand so gut es eben ging, Kopf nach unten, denn der Hubschrauber wirbelte ganz schön Staub auf! Der drehte jetzt auch schon wieder ab – vorbei war der Spuk aber noch lange nicht. Denn die beiden Sanitäter packten den Verletzten erstmal auf eine Bahre – und der Heli drehte wieder bei und nahm seinen Passagier auf. Wirklich ein unangenehmes Gefühl, in diesem Wind zu hocken, kurz vor dem Abgrund, an einen Fels geklammert – ich hatte das Gefühl, ich würde gleich wegfliegen – ähnlich meiner Besteigung des Mont Ventoux im letzten Jahr.
Dem verletzten Läufer wünsche ich an dieser Stelle gute Besserung und schnelle Heilung!
Der Zwischenfall hatte ganze 20 Minuten gedauert, und neben den Sorgen um den Verletzten begannen sich jetzt einige Sorgen um die Barrière Horaire bei Châtelard zu machen, wo um 16:30 Feierabend war. Jetzt schon Sorgen ums Cut-off machen? Ein ungutes Gefühl stieg in mir auf. Das war in meiner Streckenplanung so nicht vorgesehen – aber ich hatte ja auch nicht mit der Hitze gerechnet. In Châtelard wollte ich eigentlich gegen halb vier sein… Der Streckenposten sah ein, dass wir ja nix für diesen Aufenthalt konnten, notierte sich unsere Startnummern und gab sie den Helfern in Châtelard durch.
Doch erst galt es noch den Col zu überwinden mit einer kleinen Kletterpassage. Ganz sicher fühle ich mich auf solchen Passagen noch nicht, auch wenn es schon viel viel besser geworden ist. Oben angekommen fragte ich, ob der Abstieg ähnlich steil und schwierig sei. „Nein“, hieß es, „nur ein bisschen wellig und durch den Schnee.“ Es war tatsächlich nicht so heftig wie der Anstieg – aber auch nicht ohne. Schnell stellte ich fest, dass ich auf dem Hintern rutschend viel schneller und besser vorankam – ich wäre beim Laufen sowieso andauernd auf den Hintern gefallen, warum also nicht gleich so? Die tiefe Rodelspur im Schnee zeigte mir, dass andere die gleiche Idee hatten.
Diese Passage machte richtig Spaß! Erst klettern, dann Schlitten fahren – zugegeben, der Hintern wurde schnell nass und kalt, aber bei der trockenen Hitze wurde er auch schnell wieder trocken – und eine coole Erfrischung war es allemal!
15:18 Lac d’Emosson – Lac d’Emotion oder der Tümpel mit der Baustelle
Auf diesen Teil der Strecke hatte ich mich ehrlich gesagt GAR NICHT gefreut. Denn zwei Tage zuvor war ich bereits hier gewesen und hatte die tolle Baustelle des Elektrizitätswerkes an diesem riesigen Stausee gesehen. Wirklich ein gruseliger Anblick! Wir Läufer hatten immerhin das zweifelhafte „Privileg“, durch die Baustelle hindurch laufen zu dürfen – für Wanderer war nämlich ein Shuttle-Bus-Service vom Parkplatz bis zum Wanderweg eingerichtet worden!
Über hässliche Stahlkonstruktionen, Gitter-Treppen, durch die man nach unten schauen kann (ich hasse sie) ging es dann zum Parkplatz an der kleinen Kapelle – in der prallen Nachmittagssonne. Hier stiegen bereits einige Läufer aus: „Selbst wenn wir das Zeitlimit in Châtelard noch schaffen, das nächste mit Sicherheit nicht mehr – wir nehmen den Bus!“
Ich entschied mich zum Weiterlaufen, es war allerdings schon verdammt knapp geworden und ich war mir nicht sicher, ob die Jungs am Col den Heli-Vorfall wirklich weitergegeben hatten. Wirklich gut ging es mir in der Hitze nicht – aber egal, aufgeben ist nicht, ich habe schon so lange gekämpft! Für den Marathon, knapp die Hälfte, hatte ich bereits über 11 Stunden (!) gebraucht…. Ein Fotograf, der gerade am Abbauen war, sah mich kommen und zückte noch einmal schnell seine Kamera.
Der Abstieg nach Châtelard war alles andere als einfach – klar bei 850 negativen Höhenmetern auf 3,5 km! Da hieß es dann auch mal, sich am Seil runterhangeln. Als es technisch wieder etwas besser wurde, überholte ich meinen Vorläufer, der ein ganz schlechter Downhiller war und raste runter nach Châtelard.
16:45 Châtelard Village – Col de Balme – weiter – oder doch nicht?
15 Minuten nach dem ursprünglichen Zeitlimit erreichte ich Châtelard. Eine Helferin verglich meine Startnummer mit einer Liste und kontrollierte meine Pflichtausrüstung. „Darf ich weiterlaufen?“ fragte ich. „Ja klar!“ Wow. Hatte also doch geklappt. Erleichtert schrieb ich meinem Freund Robert eine SMS, dass ich nun doch weiter könnte, nachdem ich ihm oben am Emosson von meinen Bedenken wegen des Zeitlimits berichtet hatte. Robert war zu diesem Zeitpunkt schon beim KMV unterwegs, und ich war wieder wie beflügelt. Viele andere Läufer stiegen hier aus und warteten auf den Bus, ich lief weiter!
Der nächste steile Anstieg ließ nicht lange auf sich warten und ich war wieder voll Energie. Kontinuierlich schaffte ich mich den Berg hoch, überholte wieder ein paar Läufer. Ein Belgier, der schon sichtlich erschöpft war, fragte mich nach der momentanen Höhe. „1.300 m und wir müssen auf 2.200.“ Frustriert ließ er sich auf den nächsten Stein fallen. (Sorry nochmal an dieser Stelle!)
Aber bald kamen auch meine Erschöpfung und vor allem diese entsetzliche Übelkeit wieder und einige Läufer zogen an mir vorbei – darunter auch Louise, eine dänische Läuferin, die ich vorhin gerade noch überholt hatte und die jetzt langsam, total erschöpft, aber beharrlich an mir vorbeimarschierte. Louise sollte dann auch den Lauf nach 26:16 Stunden als letzte finishen. Hut ab, Louise, Du hast es durchgezogen!
Ein nettes Grüppchen von 3 Läufern versuchte mich aufzumuntern und irgendwie erreichte ich dann den nächsten VP, Les Jeurs. Dort traf ich die Läufer wieder, und noch einige mehr, die bereits ihre Jacken übergezogen und sich zum Abbruch bereit gemacht hatten. Am VP baute man bereits ab und – oh weh – die Besenläufer näherten sich! Klar, schließlich waren wir die letzten, die Châtelard noch passieren durften… Kurze Pause, weitere SMS, nein, ich versuche es weiter! Und so schloss ich mich dem lustigen Grüppchen an. Zwei weitere Läufer stießen zu uns denen es auch nicht viel besser ging als mir.
Mir ging es mittlerweile wieder schlechter, müde, erschöpft, schwindelig, kam ich kaum noch den Berg hoch. Mir war klar, dass ich es in diesem Zustand nicht mehr ins Ziel schaffen würde – den letzten steilen Abstieg in der Dunkelheit zu meistern – keine Chance, zu gefährlich! Von hinten näherten sich schon die Besenläufer – alles klar, ich steige aus!
Denn eigentlich war es nur noch Quälerei. Die Jungs aus dem Dreiergrüppchen versuchten mich zwar noch, zum Weitermachen zu überreden, aber zu diesem Zeitpunkt war das Rennen einfach für mich gelaufen. Aus. Ende. Den Besenläufern erklärte ich, dass ich aussteigen wolle, und sie boten mir an, mich zum Col de Balme zu begleiten, wo ein Fahrzeug mich dann zurück nach Chamonix bringen könnte. Die beiden Jungs, denen es noch schlechter ging als mir schlossen sich an – und am Col de Balme wartete bereits ein dritter Läufer auf den Rücktransport.
Ein Geländefahrzeug brachte uns dann über den mehr als holprigen Fahrweg runter zum nächsten VP in Le Tour – sozusagen eine kleine gratis Massage – ich hatte mich immer schon gefragt, wie man auf solchen Pisten überhaupt fahren kann.
20:52 Le Tour – Ende, Aus, Vorbei
In Le Tour angekommen, ging es dann aber erstmal doch nicht weiter nach Chamonix – eine Navette hätte mich zum Bahnhof nach Argentière gebracht und von dort mit dem Zug nach Chamonix. Alles bloß das nicht! Zum Glück erreichte ich Robert direkt auf dem Handy und sagte ihm, wo er mich abholen könne.
Immer noch kamen Läufer nach Le Tour rein, wo jetzt um 21:00 Cut-Off war und einige Zuschauer, die mich für eine „richtigen“ Läuferin hielten, feuerten mich noch an. Aber das „Bravo!“ hatte ich nicht mehr verdient – jedenfalls dachte ich so.
Völlig fertig mit den Nerven setzte ich mich auf den großen Parkplatz, um auf Robert zu warten – und nun kamen die Tränen. Zwei ältere Damen kamen sofort auf mich zu, um mich zu trösten – vielen Dank nochmal für die aufbauenden Worte! Hier sah ich auch, dass ich nicht alleine war: Um mich herum viele Läufer, die aufgegeben hatten aus den unterschiedlichsten Gründen. Ein junger Läufer, der mit mir wartete, hatte sich den Knöchel verstaucht und konnte kaum noch auftreten – so gesehen ging es mir ja noch richtig gut…
In Chamonix angekommen, musste ich wieder weinen, als ich die hereinkommenden Läufer sah – aber ich feuerte sie an und jubelte ihnen zu, denn ich wusste, was es für eine Leistung war, dieses Ding überhaupt zu finishen.
XX:XX Les Bois, Montenvers – Mer de Glace, Plan de l’Aiguille – das wäre Ihr Preis gewesen
Hier kam ich beim Lauf leider nicht mehr vorbei, wohl aber bei meiner Streckenerkundung. Deshalb hier einfach ein paar Bilder vom Teilstück Montenvers – Plan de l’Aiguille
Es ist mir nicht leicht gefallen, diesen Text zu verfassen – über sein Scheitern schreibt schließlich niemand gerne. Aber es gehört dazu – vielleicht war dieser Lauf einfach noch zu schwer für mich, vielleicht hatte ich auch nur einen Sch…-Tag erwischt, vielleicht habe ich die Höhe trotz Akklimatisation doch nicht so gut vertragen, vielleicht sollte ich bei Hitze einfach keine Ultras mehr laufen, vielleicht ist 2015 auch einfach nicht mein Laufjahr – vielleicht, vielleicht…
Trübe Gedanken, die einen nicht weiterbringen. Weiter bringt Dich das, was Du aus solch einer Erfahrung machst. Ich versuche, stolz darauf zu sein, was ich bis dahin geschafft habe und daraus zu lernen.
Bei diesem Lauf bin ich an meine Grenzen gegangen – sowohl physisch als auch mental – und auch im wörtlichen Sinne: mein DNF war am Col de Balme – der genau an der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz liegt.
Auf ein Neues! Der Eiger Ultra wartet bereits auf mich!
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