Nach dem DNF am Mont-Blanc gab es für mich nur eins: den Eiger finishen, und wenn ich auf allen Vieren ins Ziel komme. Mit einem Blick aufs Höhenprofil kam ich auch zu dem Schluss, dass das auf jeden Fall zu machen ist – hier waren die Höhenmeter besser verteilt als am Mont-Blanc, es gab keine ständigen Kilomètre Vertical und die Strecke schien mir auch nicht so technisch zu sein.
Also ging es 3 Tage vor dem Rennen los nach Grindelwald. Ich war noch nie in diesem Teil der Alpen, und endlich konnte ich das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau mal aus der Nähe anschauen! In Grindelwald gab es auch schon direkt bei der Ortseinfahrt eine tolle Begrüßung für uns Trailrunner!
Samstag um 4:30 dann endlich Start! Ein bisschen ungünstig fand ich das späte Briefing am Vorabend (19:30 – 20:00), wäre lieber früher ins Bett gegangen. Aber egal, vor solchen Events schläft man eh vor und ich war diesmal viel ausgeschlafener als vorm Ultra Mallorca und Mont-Blanc, wo ich nächtelang vorher kaum schlafen konnte. Mit meinen beiden Lauffreunden Michael und Ingo machte ich mich dann auf den langen Weg. Der erste Stau an der Brücke, der im Briefing angekündigt war, verlief relativ harmlos und zügig. Da bin ich mittlerweile anderes gewöhnt.
Die erste Station, Grosse Scheidegg, war nach etwa 1:45 Stunden erreicht und ich versuchte, mich an meinen „Essplan“ zu halten: an jeder Station etwas essen. Das ist nämlich mein ganz großes Problem, nach wie vor: ich schaffe es auf den Ultra-Läufen einfach nicht, regelmäßig und genug zu essen, was sich dann natürlich in der Leistung bemerkbar macht und auf Läufen länger als 10 Stunden einfach tödlich ist! Also ein kleines Stückchen vom Riegel abgebissen, dann ging es auch schon weiter!
First mussten wir „Ultras“ zweimal passieren, beim ersten Durchgang ging es über die berüchtigte „Bort-Schleife“ erst nochmal ganz runter von 2.100 auf 1.550 m (auf knapp 3 km). Ich liebe ja Downhills und bin auch recht gut darin, aber dieser war eine ganz besondere Herausforderung: extrem steil – über Asphalt! Steile Trails sind ja eine Sache – mit der richtigen Technik kommt man da auch gut runter und kann auch schön abfedern – aber Asphalt??? Das war mal eine ganz neue Erfahrung – auch für meine Oberschenkel, die 3 Tage danach immer noch wehtaten – nach Mallorca oder Mont-Blanc hatte ich keinen Muskelkater! Aber immerhin überholte ich auf diesem Downhill einige Läufer und traf auch Michael an der Verpflegung wieder.
An meinen schönen Plan hielt ich mich diesmal wieder nicht und machte mich mit Michael zum Rückanstieg auf First. Bald jedoch musste ich ihn ziehen lassen, denn ab einer gewissen Steigung fehlt mir leider immer noch ein wenig die Kraft und ich komme nur langsam voran. So langsam, dass die Läufer, die ich vorhin beim Abstieg überholt hatte, mich nach und nach wieder „einsammelten“. Sowas kann schon frustrierend sein und führt bei mir oft dazu, dass ich in einen noch langsameren Trott verfalle.
Wieder an der Station First angekommen, bemerkte mein Freund Robert, der dort mit dem Crossbike auf mich wartete, sofort, was Sache war, und stachelte mich wieder ein bisschen an. Dort oben war es jetzt schon ziemlich voll geworden, denn der Start der 51er war wegen möglicher Gewitter am Nachmittag um eine Stunde vorverlegt worden und die tummelten sich jetzt natürlich auch dort. Das Getümmel an den Verpflegungsständen finde ich meistens ziemlich nervig, ließ mir schnell (oder auch nicht so schnell) meine Flaschen auffüllen und hätte beinahe wieder das Essen vergessen, aber zum Glück war Robert ja da, der mich daran erinnerte.
Nun weiter in Richtung Faulhorn am Bachalpsee vorbei, eine schöne Kulisse, auch wenn der Himmel heute etwas verhangen war. Umso bessres Laufwetter, denn nach der Hitzewelle in den Tagen zuvor hatte ich schon das schlimmste befürchtet – trotz intensivem Hitzetraining.
Jetzt ging es beständig nach oben – doch dann gleich wieder runter! Schlimm, wenn Du weißt, Du musst auf 2.680 m, freust Dich, dass Du bereits auf 2.300 m bist – und dann wieder auf 2.000 runter musst! Noch schlimmer, wenn Du den Downhill einigermaßen schnell runter willst, hast aber durch die Startverschiebung die langsameren 51er vor Dir, und kommst nicht dran vorbei…
Nun war der tiefste Punkt erreicht, Oberläger Bussalp, ab da ging es dann wieder steil nach oben zum Faulhorn! Immerhin schaffte ich es, dort am VP ein weiteres Stückchen Riegel abzubeißen und ein wenig Gel zu mir zu nehmen, bevor es nach oben ging! Der Anstieg ist nicht ohne, aber harmlos im Vergleich zum Col de la Terrasse beim Mont-Blanc. Nicht so steil und auch nicht so technisch. Die Höhenluft machte mir auch kaum noch etwas aus. Langsam war ich trotzdem, aber ich bin eben (noch) kein guter Uphiller. Hier oben fing es dann an zu regnen und wurde richtig kalt, der Wind pfiff nur so. Aus meinem mit Pflichtausrüstung vollgestopften Rucksack zog ich meine Regenjacke raus und machte mich auf zum Gipfel des Faulhorns. Der VP oben war ziemlich eng, also hielt ich mich nicht lange auf – mal wieder ohne etwas zu essen – und machte mich auf den Weg nach unten. Nach meinem Zeitplan hatte ich etwa eine Viertelstunde verloren, nicht dramatisch, hol ich wieder ein!
Dachte ich. Der Downhill war zwar etwas technisch und geröllig – aber machbar – hätte sich nicht mein blöder Fersensporn wieder zu Wort gemeldet, der mich nach dem Mont-Blanc sozusagen „heimgesucht“ hatte. Auftreten ging plötzlich gar nicht mehr, bergab und flach laufen war die Hölle… Also langsam. Zwischendurch sorgten ein Sturz und ständiges Umknicken (keine Ahnung warum) dafür, dass ich mein Tempo nochmal etwas reduzierte. Schade. Und frustrierend – schließlich hing mein Zeitplan ja vor allem auch daran, dass ich an den Bergab Passagen einiges rauslaufen wollte! Nun war ich schon fast 9 Stunden unterwegs und meine schlechte Verpflegungstaktik machte sich nun auch bemerkbar. Ich nahm mir vor, am VP Schynige Platte ausreichend zu essen – und vergaß es dort auch prompt wieder.
Der Abstieg nach Burglauenen war alles andere als angenehm: ich dachte, es geht nur runter – aber die ständigen Zwischenanstiege hatte ich so gar nicht auf dem Schirm! Es ging hauptsächlich durch den Wald, über pfadige Wurzelwege, relativ schlecht zu laufen, wenn man andauernd am Umknicken ist. Langsam wurde es auch schwül, und zu allem Überfluss die ganzen 51er hinter mir, die sich freuten, jetzt nur noch 10 km zu laufen zu haben! „Ich hätte auch gerne nur noch 10! Aber ich habe noch 50! Depp! Warum hast Du nicht einfach auf die 51 umgemeldet?“ dachte ich mir.
Burglauenen – die Hälfte ist geschafft
Nach knapp 11:20 Stunden erreichte ich um 15:51 Burglauenen – 1,5 Stunden hinter meinem Zeitplan, unterzuckert, erschöpft und demotiviert. Zum Glück wartete Robert dort wieder auf mich! Er zwang mich jetzt einfach, mich mal hinzusetzen, etwas zu essen. Eine gute halbe Stunde hielt ich mich dort auf, essen, kurz abduschen, frische Klamotten aus dem Drop-Bag anziehen und schon fühlte ich mich wie ein neuer Mensch. Natürlich holt man so einen Hungerast nie wieder richtig auf, aber immerhin fühlte ich mich jetzt einigermaßen gestärkt genug, den 2. Teil der Strecke anzutreten, denn der war nicht ohne und noch eine Nummer härter als der erste. Aber ich gab nicht auf, obwohl ich kurz davor gewesen war – Burglauenen ist auch so ein neuralgischer Punkt, an dem viele aufgeben.
Kurz an der Bahnschranke warten, dann trennten sich die Wege für die 101er und die 51er – ich war froh, dass wir nun endlich wieder „unter uns“ waren und trat frisch den Weg Richtung Wengen an. Doch der zog sich wie Kaugummi – ziemlich steil und meiner Meinung nach der schlimmste Teil der Strecke – schlimmer noch als der Anstieg zum Männlichen. Auch der Abstieg war nicht ohne, denn auch hier ging es immer mal wieder steile Asphaltrampen runter.
Aber irgendwann war das Örtchen dann doch endlich erreicht, und wir Läufer wurden hier von den Menschen in den umliegenden Cafés und Restaurants mit Jubel und Beifall empfangen. In Wengen noch einmal kurz stärken – dann weiter zum Männlichen!
Knapp 1.000 Hm auf 5 km – das ist nicht ohne und wenn man eh so ein schlechter Kletterer ist wie ich, wird man an solchen Stellen ständig überholt. Das fand ich an dieser Stelle aber gar nicht mehr so schlimm, beunruhigender fand ich das Donnergrollen im Hintergrund. Gerade am Männlichen nicht ganz ungefährlich, denn dort befinden sich Lawinenverbauungen aus Metall – kein guter Ort bei Gewitter! Bei der ersten Austragung des Rennens 2013 wurden die Läufer aus diesem Grund auch per Gondel-Shuttle zum Männlichen hoch gebracht. Ich durfte jedenfalls den Männlichen noch komplett hoch laufen – und an der VP an der Bergstation dort oben hieß es dann auch: STOPP!!!
Gewitter-Stopp am Männlichen
Das Rennen wurde jetzt erstmal pausiert, eine halbe Stunde, sagte man mir, und ich war auch ganz froh darum, denn bei Gewitter hat der Mensch in den Bergen nichts verloren! Oben traf ich auch alle, die mich beim Aufstieg überholt hatten, wieder.
Nun hieß es erstmal abwarten und Tee trinken. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn die freundlichen Damen der Bergstation boten uns zusätzlich zu den Sachen der VP kostenlosen Tee, Kaffee oder „Schoggi“ an. Das Gewitter wurde und wurde aber nicht besser, und ich begann schon zu fürchten, dass das Rennen beendet werden sollte. Zum Glück unbegründet: Die Rennleitung teilte uns mit, dass wir, sobald es aufhören würde zu regnen, wieder weiterlaufen dürften – allerdings auf verkürzter Strecke: Lauberhorn, Eigergletscher und Pfingstegg fielen weg, stattdessen sollte es direkt zur kleinen Scheidegg gehen und dann über Alpiglen zurück nach Grindelwald. Schade um den Eiger Trail, aber immerhin dürfen wir finishen! Um Pfingstegg, den letzten fiesen Anstieg kurz vor Schluss tat es mir allerdings nicht sonderlich leid. Mit ein paar anderen deutschen Läufern spekulierte ich noch, ob es für den gekürzten Lauf wohl trotzdem 3 UTMB-Punkte gäbe, dann kam endlich das OK der Rennleitung: Weiter geht’s!
Endlich! Wir mussten nacheinander in kurzen Abständen erneut über die Matte laufen, dann wurden wir in Richtung kleine Scheidegg „entlassen“. Mit Ester, einer Läuferin aus Italien, für die es ihr erster Ultra war, machte ich mich auf den Rückweg. Wir entschieden, den Rest zusammen zu laufen, finishen würden wir sowieso und Zeit spielte jetzt eh keine Rolle mehr. Im Gegenteil. Mittlerweile war es 23:00, und ich war froh, nicht allein laufen zu müssen. Ein paar Läufer schlossen sich uns noch an und als lustiges Grüppchen kamen wir unten in Grindelwald-Grund an, mit dem Ziel schon direkt vor Augen.
Doch unten standen ein paar Streckenposten, die uns noch auf die Schleife über Marmorbruch schickten. Marmorbruch? Sollte es nicht direkt nach Grindelwald gehen? Nein, da wären wir falsch informiert worden, wir müssen noch einmal an der VP Marmorbruch vorbei – aber Pfingstegg, das ist definitiv raus!
Nun kannte ich das letzte Stück des Weges nicht, da wir uns den Teil bei unserer Streckenbegehung am Donnerstag gespart hatten und hatte ihn auch von der Karte her nicht so weit in Erinnerung. Über Wurzelpfade ging es nun in den Wald rein, und mich beschlich das unheimliche Gefühl, wir könnten uns verlaufen haben und wären jetzt in Richtung Pfingstegg unterwegs! Doch zum Glück tauchte bald ein Schild auf, das uns zeigte, dass wir noch auf dem richtigen Weg in Richtung Marmorbruch waren. Trotzdem, hochmotiviert waren wir nicht gerade, und deshalb erspare ich Euch auch die Fotos, die auf einer Brücke mit einer automatischen Kamera kurz darauf von uns geschossen wurden 😉 Mit meinem Lupine-Scheinwerfer durfte ich die Gruppe wieder anführen und endlich, endlich war Marmorbruch erreicht. Dort erklärte man uns: „Noch 5 km, dann habt ihrs geschafft!“
Doch auch für Ultraläufer können 5 km arg lang werden, wenn man eigentlich nur noch unter die Dusche und ins Bett will. Ein Läufer, mit dem ich oben noch über die UTMB-Punkte spekuliert hatte, und ich schauten uns an und kamen zu dem Schluss:
„Sch…egal, ob es für den Lauf jetzt 3 Punkte gibt oder nicht – nächstes Jahr ist für uns der UTMB jedenfalls noch nicht Programm!“
Dem nächsten Streckenposten, dem wir begegneten und der uns mit „nur noch 1 km“ empfing, wären wir beinahe um den Hals gefallen. Nun noch eine letzte steile Rampe im Ort hoch, dann Richtung Ziel – für das Zielfoto dann natürlich im Laufschritt über die extra gefertigte Zielbrücke mit einer allerletzten fiesen Rampe nach unten. Endlich! Das Stück Eiger gehört uns!
Kleine Überraschung: im Ziel bekam ich das Finishershirt in meiner bestellten Größe überreicht – nicht selbstverständlich, nachdem ich schon oft anderes erlebt hatte.
Meine beiden Uhren zeigten am Schluss zusammen 88,2 km und 6.300 Hm (laut ITRA waren es 88.5km / 5950m D+). Abzüglich der 2 Stunden Wartezeit war ich für die Strecke 20h30 unterwegs (die offiziellen Listen haben den Aufenthalt anders als bei den Läufern der Originalstrecke nicht rausgerechnet)
Mittlerweile kam die offizielle Info der ITRA / UTMB: für die Original-Strecke gibt es nach wie vor 3 Punkte, für die verkürzte Strecke nur noch 2. Damit wäre das „3-Punkte-Problem“ nun auch von offizieller Seite geklärt!
Part 1 bis Männlichen
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Part 2 auf verkürzter Strecke
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