Der High Trail Vanoise – oder wie er vorher hieß: Ice Trail Tarentaise – stand immer schon ganz oben auf meiner Trailrunning Wunschliste. Ganz oben ist übrigens das richtige Stichwort: denn dieser Trail ist in seiner 70 km Ultra Variante gleichzeitig auch einer der höchsten, wenn nicht der höchste Trail Europas: denn er führt auf den Gipfel der 3653 m hohen Grande Motte, dem vierthöchsten Gipfel des Vanoise-Massivs. Die 4 km Strecke führt immerhin noch auf bis zu 3379 m, auf den Gipfel der Aiguille Pers.
Etwas übermütig hatte ich mich gleich für die lange Distanz, den 70 km Trail angemeldet, doch im Hinblick auf meine diesjährige Form, meine Höhenangst und mein Erlebnis beim Galatzó Trail kamen mir Zweifel, ob ich diesen Lauf überhaupt schaffen würde – zumindest wäre es ein Kampf um die Cutoffs geworden. Und da ich keine Lust hatte, wieder einmal von Cutoff zu Cutoff zu hetzen, meldete ich letztendlich auf die 42 km Distanz um, die immerhin auch ihre 3500 Höhenmeter hat, bis auf fast 3400 m Höhe führt und auch eine Gletscherüberquerung beinhaltet (bei der langen Distanz sind es zwei).
Was die Akklimatisierung anging, machte ich mir keine großen Sorgen, denn unser Sommerurlaub war so geplant, dass ich mich ideal auf das Event vorbereiten konnte: die zwei Wochen vorher verbrachten wir im fast 1900 m hoch gelegenen Alpe d’Huez, von wo ich auch öfter die Möglichkeit hatte, auf mehr als 3000 m zu trainieren.
Auch die Höhenangst hatte ich mittlerweile sehr gut in den Griff bekommen – wie ich das gemacht habe, verrate ich in einem meiner nächsten Blogbeiträge ? .
Für den Lauf hatte ich mir zusätzlich zwei Übernachtungen im Start- und Zielort Val d’Isère (1800 m) gebucht (auch ein sehr bekannter Wintersportort in Frankreich, vor allem seit den Olympischen Winterspielen 1992), denn der Ort liegt immerhin etwa 3 ½ Autostunden von Alpe d’Huez entfernt.
Kilomètre Vertical de Val d’Isère
Pünktlich zum Start des Kilomètre Vertical (KV) traf ich freitags (der Lauf fand samstags statt) in Val d’Isère ein, und ich nutzte das Angebot des Veranstalters, kostenlos mit dem Lift auf 2700 m hoch zu fahren und den Zieleinlauf anzuschauen. Vom Lift aus hatte ich einen guten Blick auf die steile, aber nicht sehr technische Laufstrecke des KV (anders als beim KMV du Mont-Blanc, der sehr ausgesetzt ist), was Lust machte auf mehr.
Oben sorgte eine Band für gute Stimmung, und zahlreiche Zuschauer feuerten die Läufer auf ihren letzten 100 Höhenmetern an.
Bald machte ich mich wieder auf den Weg nach unten, um das Briefing zu besuchen und mich für mein Rennen startklar zu machen.
Ich war ganz froh, dass ich umgemeldet hatte auf die Marathon-Distanz, denn so musste ich nicht so früh aufstehen und ein Blick auf die Starterliste, die größtenteils aus sehr starken Läufern mit hohem ITRA Index bestand, sagte mir, dass ich auf dieser Strecke nichts verloren hatte.
Start Trail des 6 Cols in Val d’Isère
Pünktlich um 8:30 startete der Marathon in Val d’Isère, die 70 km Läufer befanden sich bereits seit 4,5 Stunden auf der Strecke. Wie im Briefing angekündigt, fanden vor dem Start obligatorische Kontrollen statt, bei der unter anderem kontrolliert wurde, ob man ausreichend Wasser mit sich führte (es war sehr heiß und die Verpflegungsstelle am Lac de la Sassière war wegen Unwetterschäden für Versorgungsfahrzeuge nicht erreichbar, deshalb waren auch die Cutoffzeiten verlängert worden).
La Daille – 1883 m – km 6,5
Nach ein paar kleinen anfänglichen Staupassagen, die sich aber relativ schnell wieder auflösten, ging es relativ zügig weiter und wir erreichten den ersten VP im Ortsteil La Daille der leider von den Bausünden der 70er Jahre geprägt ist: zahlreiche Hochhausbauten wurden hier für den Ski-Tourismus in die Berglandschaft gezimmert.
Die Stimmung war allerdings besser als das Erscheinungsbild des Örtchens und trotz der frühen Morgenstunde war hier bereits recht viel los. Dadurch, dass der nächste VP am Lac de la Sassière ausgefallen war, gab es hier Kontrollen, ob wir auch wirklich genügend Wasser mit uns mitführten und wir wurden angehalten, unsere Flaschen doch aufzufüllen.
Ab hier (kurz vorm VP La Daille) waren die Strecken des 70 km und des 42 km Laufes identisch, und wir machten und gemeinsam mit den Ultraläufern an unseren ersten richtigen Anstieg zur Passage de Picheru, dem ersten Col auf 2785 m Höhe, wo wir auf knapp 4 km über 1000 Hm machten, fast schon ein richtiger KV und dementsprechend steil. Ich war ganz froh, diesen Anstieg relativ frisch und ausgeruht angehen zu können, die Ultraläufer mussten hier schon häufiger Pausen einlegen, immerhin hatten sie schon fast 40 km mit über 2000 Hm in den Beinen.
Erster Col: Passage de Picheru 2785 m – km 11
Bald war aber auch dieser erste Col erreicht und nun hieß es erst einmal wieder: 200 Höhenmeter runter zum Lac de la Sassière, der erste Teil davon über ein steiles Schneefeld. In solchen Fällen ist es immer am einfachsten, eine kleine Rutschpartie auf dem Allerwertesten zu machen, schließlich fällt man im sulzigen Schnee sowieso hin und es geht einfach schneller. Merke für die nächsten Veranstaltungen dieser Art: mit einem kurzen dünnen Laufhöschen kann das etwas kühl werden, nächstes Mal eine Plastiktüte zum Rutschen einpacken ?.
Lac de la Sassière 2514 m – km 12
Am kleinen Stausee Lac de la Sassière gab es zwar keine Verpflegung, dafür aber genügend frisches Bergquellwasser, genug, um sich noch einmal die Trinkflasche vollzumachen oder die Kopfbedeckung zwecks Abkühlung zu benetzen.
Zweiter Col: Col de la Bailletaz 2850 m – km 15
Der Aufstieg zum nächsten Col war mäßig steil und steinig, etwas technischer als der vorangegangene Abschnitt, dennoch nicht zu technisch.
Kurz den Ausblick genießen, dann ging es gleich wieder an den Abstieg, wo uns im ersten Schneefeld ein lächelnder Schneemann begrüßte. Es folgte ein recht steiler, dennoch gut laufbarer und rasanter Downhill, bei dem wir auf knapp 5 km 900 negative Höhenmeter machten zum nächsten VP Le Fornet, wo sich auch der erste Cutoff befand.
Le Fornet – 1941 m – km 20
Zu meinem eigenen Erstaunen hatte ich hier noch 2 Stunden Luft, ein gutes Gefühl! In dem kleinen Örtchen, auch ein Ortsteil von Val d’Isère, aber etwas urtümlicher als La Daille, wurden wir von einigen jubelnden Zuschauern erwartet.
Kurz stärken, denn nun ging es an den längsten Anstieg unseres Abenteuers, erst zum Col de l’Iséran, dann weiter zum höchsten Punkt der Strecke.
Der Anstieg zum Col de l’Iséran war zwar nicht ganz so steil wie der erste Anstieg, doch irgendwie fiel er mir ein wenig schwerer als noch am Anfang. Aber nicht nur mir schien es so zu gehen: beim Anstieg traf ich auf ein Pärchen, das die 70 km als DUO lief: sie war mit einem kleinen Seil mit dem Rucksack ihres Laufpartners verbunden und ließ sich ganz komfortabel den Berg hochziehen – coole Idee fand ich ?
Col de l’Iséran 2758 m – km 25
Etwas unterhalb des Col de l’Iséran, übrigens auch ein bekannter Tour de France Anstieg und der höchste überfahrbare Gebirgspass der Alpen, erwartete uns der nächste VP und der nächste Cutoff. Eigentlich sogar zwei, denn der VP war in zwei Hälften geteilt: ein Cutoff vorm Anstieg zum höchsten Punkt, einer für den Rückweg.
Hier traf ich auch wieder auf alte Bekannte: die Band, die gestern bereits beim KV gespielt hatte, war auch hier vor Ort.
Dritter Col: Col Pers 3009 m – km 28 und Pointe Pers
Nun ging es zum höchsten Punkt der Strecke: der Aiguille Pers auf 3379 m. Der Weg wurde zunehmend steiler, technischer und ausgesetzter, die Luft zunehmend dünner. Wie gut, dass ich akklimatisiert war durch den Aufenthalt in Alpe d’Huez! Ich merkte die Höhe zwar noch ein wenig, aber kein Vergleich zu meinem Abenteuer in Les Deux Alpes!
Und zum Glück war ich auch weitestgehend von meiner Höhenangst befreit, denn die Wege waren wirklich nicht ohne, auf schmalem Grat mit einem krassen Blick in die Tiefe bewegten wir uns voran.
Eine weitere Herausforderung hier oben: es war so windig, dass ich Sorge hatte, meine doch recht leichten Trailstöcke könnten mir wegfliegen! Eine besondere Herausforderung war es dann, gleichzeitig die Stöcke festzuhalten und die noch leichtere Jacke anzuziehen, die auch schon drauf und dran war, auf und davon zu fliegen!
Aus diesem Grund (und weil der schmale Grat eben doch einiges an Konzentration erforderte) gibt es von dieser Passage auch kaum Film- und Bildmaterial ?.
Ein wenig Sorge machte ich mir wegen des Abstiegs, doch der war recht unkompliziert: nach einer kurzen steilen Geröll-Passage ging es auf den Gletscher. Die erste steile Passage durch den Schnee war etwas rutschig und es gab auch einige Stürze, weshalb ich hier meine Snowline Spikes* anschnallte (beim 42 km waren die nur empfohlen, beim 70 km Pflicht). Wirklich nützlich waren sie allerdings nur auf dem ersten steilen und noch relativ festen Teil. Später im sulzigen Schnee halfen auch die Spikes nichts mehr, der Schnee war durch die Nachmittagssonne und die Läufer vorher schon so breiig und matschig, dass es gar keinen Grip gab.
Wirklich gut bin ich beim Hinablaufen solcher Passagen auch nicht, wie ich feststellte, so dass mich dieser Abstieg doch einiges an Zeit kostete.
Vierter Col: Col de l’Iséran – 2764 m – km 33
Doch zum Glück war bald endlich wieder der Col de l’Iséran erreicht und nun kamen wir auch wirklich auf der vollen Passhöhe an. Immer noch hatte ich über 90 Minuten Zeit zum Cutoff, trotz des Zeitverlustes beim Aufstieg und durch den Schnee.
Mittlerweile war es hier oben so windig geworden, dass ich auch hier nicht ohne Jacke laufen konnte, selbst beim folgenden Aufstieg von nochmal fast 300 m, in Richtung Tunnel des 3000, unterhalb der Pointe des Lessières.
Fünfter Col: Tunnel des 3000 – 2972 m – km 35
Bei diesem Anstieg, der erst durch ein etwas ausgesetztes Schneefeld führte, ließ ich die Spikes im Rucksack, hier brauchte man sie nicht unbedingt, denn die Fußspuren meiner Vorgänger im Schnee gaben genügend Grip.
Der folgende Abschnitt war meiner Meinung nach der schwierigste und auch gefährlichste der ganzen Strecke: über ein Geröllfeld aus Schiefer und Sand ging es steil nach oben. Die Stöcke waren hier mehr als hinderlich, da man die Hände benötigte, und Halt gab es auch nicht wirklich im losen Untergrund. Schmutzige Füße bin ich beim Trail ja gewohnt, doch hier gab es noch Dreck unter den Fingernägeln dazu.
Nun folgte der Eingang zum Tunnel des 3000, einem Tunnel, der den Eingang zu einer schwarzen Skipiste bildete (auf der wir hochgelaufen waren). Ein wenig Sorge hatte ich wegen des Abstiegs hinter dem Tunnel, doch der war ganz easy: eine breite, gut laufbare Piste, die allerdings bald wieder durch matschige Schneepassagen führte.
Sechster Col: Col de la Madeleine 2690 m – km 38
Ganz runter ging es aber immer noch nicht, ein letzter Col fehlte noch: der Col de la Madeleine auf 2690 m – so langsam konnte ich keine Anstiege mehr sehen! Mittlerweile waren schon 10 ½ Stunden vergangen und so richtig schnell war ich auch nicht mehr.
Dann endlich, endlich der finale Downhill: kein Schnee, zwar einigermaßen technisch und steil, aber dennoch gut laufbar. Zu meiner Freude war ich durch das Training in Alpe d’Huez auch auf technischen Downhills schneller geworden und konnte den letzten Abschnitt richtig runterbrettern und sogar noch viele Läufer überholen.
Ziel: Val d‘Isère
Nach diesem sehr rasanten Downhill war auch bald wieder Val d’Isère erreicht. Im Ziel dann noch eine kleine Überraschung: der Zielsprecher begrüßte mich auf Deutsch und traute sich sogar, meinen Nachnamen auszusprechen ?. 11:26 Stunden hatte ich gebraucht – krasse Zeit für einen Marathon. Und es waren ja noch über 100 Läufer der Einzelwertung (ohne die an den Cutoffs Ausgeschiedenen) auf der Strecke, was für mich bedeutete: 246te von 349 Einzelfinishern und 29. von 55 Frauen.
Zum Vergleich die Siegerzeiten:
Männer
- Paul Mathou 05:41:23
- Robin Juillaguet 05:53:18
- Valentin Benard 05:55:22
Frauen
- Sophie Weber Sassolas 07:25:28
- Marine Charnet 07:48:26
- Camilla Ingram 08:01:39
Auch ein witziger Service im Ziel: Alle Läufer konnten kostenlos im Zielbereich in den Jacuzzi steigen, und man konnte sich ausgedruckte Fotos mitnehmen, die die Fotografen an der Strecke (Col de la Bailletaz und Lac de l’Ouilette) gemacht hatten, die Fotos gab es später auch zum Download (siehe die beiden professionellen Fotos im Beitrag oben).
Pflichtausrüstung:
- Ausreichend Wasser (gerade in großer Höhe braucht man viel mehr!)
- Nahrungsreserve
- Regenjacke wasserdicht
- Handschuhe
- Sonnenbrille
- Handy
- Stirnlampe (nur 70 km, auf 42 km nicht erforderlich)
- Mütze oder Buff
- Pfeife
- Rettungsdecke
- Spikes * (Pflicht auf der 70 km Strecke, empfohlen auf der 42er)
- Becher
- Wasserdichter Beutel mit langer Hose und Langarmshirt
Empfohlen:
- Stöcke
- Sonnencreme (die Höhensonne ist nicht zu unterschätzen, nicht nur bei sehr heller Haut!)
- Pflaster