Zum Maremontana Trail kam ich eigentlich nur durch Zufall. Mein Freund plante in diesem Jahr sein Rennrad-Trainingslager in Ligurien. Anfangs wollte ich gar nicht mitkommen, da ich terminlich anders verplant war. Der Termin wurde aber abgesagt, und so beschloss ich, doch mit- bzw. nachzukommen. Vor allem, als ich dann den Maremontana Trail entdeckte mit Start in Loano, 8km von unserem Hotel in Finale Ligure entfernt. Besser geht es doch gar nicht! 45km mit 2.500 m D+ und einem Zeitlimit von 10 (!) Stunden hörten sich nicht gerade nach einem Sonntagsspaziergang an, aber sollten zu schaffen sein. Ein wenig übermütig vielleicht, wenn man bedenkt, dass eine Woche vorher der Trail du Petit Ballon anstand, aber egal – angemeldet! Einzige Deutsche und eine von nur wenigen Frauen am Start.
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Der Lauf hat das Motto „dalla sabbia alla neve“ („vom Sand in den Schnee“) – und machte seinem Namen alle Ehre, wie ich später merken sollte. Start auf Meeresniveau am Strand von Loano, höchster Punkt auf 1.100 m. Die Strecke verläuft größtenteils über die Alta Via die Monti Liguri AVML (Ligurischer Höhenweg), einem 442 km langen Wanderweg über die ligurischen Berge.
Beim Studium der Ergebnisse des Vorjahres wurde ich schon stutzig: von 350 Startern nur 67 im Ziel, 20 mit Unterkühlung, 2 mit Knochenbrüchen, der Rest hatte aufgegeben. „OK“, sagte ich mir, „das Wetter war letztes Jahr ja auch arg bescheiden und der Winter sehr lang. Dieses Jahr ist das nicht so.“
Nach dieser Statistik wunderte ich mich auch nicht, dass ich eine Erklärung unterschreiben musste. Ärztliches Attest ist auch in Italien Pflicht, aber das hatte ich ja sowieso wegen meiner Läufe in Frankreich. Die Liste der Pflichtausrüstung war auch lang: Rucksack, Wärmedecke, Buff bzw. Mütze, Windjacke, mind. ½ l Wasser, mind. 1 Gel und 1 Riegel, eigener Becher, Handy mit eingespeicherter Notrufnummer. Bei schlechtem Wetter zusätzlich: mind. dreiviertellange Hose (Knie müssen bedeckt sein!), wasserdichte Jacke und Handschuhe. Soweit eigentlich nicht weiter ungewöhnlich. Ungewöhnlich war bloß die Kontrolle am Vortag, bei der man alles Material schon gerichtet haben musste und vorzeigen, sonst gab es eben keine Startnummer. Egal, wenn sie es halt so haben wollen… Wegen der Wetterprognosen (Regen, Schneefallgrenze innerhalb von 24 Stunden von 2.000 auf 900m gesunken) musste ich dann eben meine Dreiviertelhose mitbringen, meine Regenjacke sowie Handschuhe. Freude beim Auspacken des Finisher Shirts: endlich mal ein Shirt, das passt! Meistens gibt es die Shirts bei Veranstaltungen erst ab Größe S und die sind für mich dann normalerweise zu groß.
Morgens um 7:30 war dann der Start am Strand von Loano. 15°C und Sonne, Regen war erst für den späten Nachmittag gemeldet. Eigentlich ganz vielversprechend. Ich war die einzige Ausländerin am Start, unter lauter wettergegerbten, ausgezehrten italienischen Bergziegen. Vorher noch das obligatorische Briefing, von dem ich trotz meiner eingerosteten Italienisch-Kenntnisse das meiste verstand. Bloß das mit der Richtung, in die der Start gehen sollte, hatte ich nicht mitbekommen und so stand ich plötzlich ganz vorne in der ersten Reihe. 🙂 Unter den schnellsten wollte ich aber ganz sicher nicht stehen, also habe mich schnell durch die Menge noch mal ein Stück nach hinten gekämpft- sah bestimmt lustig aus und normalerweise wird eher in die andere Richtung gedrängelt…aber egal und los geht’s!
Durch den Sand ging es zum Glück nur ein paar Hundert Meter (wer einmal durch Sand gelaufen ist, weiß, wie anstrengend das sein kann) und dann weiter durch die Straßen des Städtchens Loano bis nach Borghetto Santo Spirito, 3 flache Asphalt-km, bei denen ich recht flott unterwegs war und noch ziemlich weit vorne. Normal lasse ich solche langen Dinger ja langsam angehen, aber ich wusste ja: gleich geht es eh mal nur noch hoch und hoch und hoch, da gehe ich eh nur spazieren… also: langsam ist später, aber nicht jetzt!
Die ersten 5 km nach Borghetto Santo Spirito gab es auch gleich mal 800 Höhenmeter zu überwinden, erst über schmale Trails, die dann in einen schmalen Gebirgspfad übergingen. Dieser Teil der Strecke verlief über den Gebirgskamm des AVML, das Panorama immer geiler, der Anstieg immer steiler. Solche langen Anstiege hatte ich bis dahin kaum trainieren können, und selbst der Petit Ballon war nicht so extrem zu laufen. Für Leute mit Höhenangst übrigens nicht zu empfehlen! Ich war froh, wieder meine Stöcke dabei zu haben, trotzdem wurde ich immer langsamer, und immer mehr Leute überholten mich jetzt. Frustrierend. Noch dazu kam bei jedem Meter Aufstieg eine Übelkeit dazu, die ich so noch nicht kannte. Ich merkte, dass ich Energie brauchte, aber jetzt mein Gel zu mir zu nehmen, widerstand mir. Ich freute mich schon auf eine Cola bei der Verpflegungsstelle Santa Croce (10 km), allerdings Fehlanzeige. Also versuchte ich es mit einem Cola Drops und machte mich weiter auf den Weg nach oben.
Dann ging es erstmal wieder ein klein wenig nach unten und dann flach weiter. Es fällt mir unheimlich schwer, nach so einem langen Anstieg länger flach zu laufen, so war es auch diesmal (ich weiß, das muss ich noch trainieren). Ein paar Leute überholten mich noch, aber dann ging es relativ locker weiter. Bis zur nächsten Verpflegung Giogo Toirano bei km 24 war noch ein kleiner fieser Anstieg mit anschließendem Abstieg zu überwinden. An der Verpflegungsstation entdeckte ich plötzlich die beiden Typen vom Start wieder, mit den netten Schildchen „Scopa“ (Besen) auf der Brust. Da geriet ich ein wenig in Panik – ich würde doch nicht letzte sein? Auf den Gedanken, dass die vielleicht einfach nur dort warten könnten, kam ich nicht. Hätte ja auch mal fragen können…
Jedenfalls ging es direkt danach gleich richtig steil nach oben, auf zum höchsten Punkt der Strecke auf 1.100 m. Gefrustet und verbissen kämpfte ich mich nach oben, immer wieder mit dem Gedanken, aufzuhören – aber nein, „DNF is not an option“ ging es mir durch den Kopf. Doch dann plötzlich, quasi aus heiterem Himmel, wurde es komplett schwarz. Am gegenüber liegenden Monte Carmo stieg ein Gewitter auf. Stockdunkel, Donnern – kein angenehmes Gefühl, unter diesen Umständen in den Bergen unterwegs zu sein, vor allem mit nur wenig alpiner Erfahrung. Im nächsten Moment ging es dann auch schon los: Hagel! „Was soll den das, das schlechte Wetter war doch erst für den späten Nachmittag gemeldet?“ Also kramte ich meine dünne (wasserabweisende, nicht wasserdichte!) Regenjacke und meine ebenfalls viel zu dünnen und nicht wasserdichten Handschuhe aus dem Rucksack. Nun machte sich die mangelnde Erfahrung bemerkbar: Definitiv das falsche Material eingepackt – vor allem an den Händen war das schmerzhaft zu spüren. Die dünnen Handschuhe waren sofort nass und die Hände eiskalt. Der Hagel war inzwischen zu Schnee geworden, und es wurde immer mehr. Frustriert stapfte ich weiter, durch den Schnee.
Bis zum nächsten Streckenposten, der alle Läufer, die vorbeikamen, fragte, ob sie aufhören wollten. Erst noch unschlüssig mit dem Gedanken „DNF is not an option“ im Kopf, ließ ich mich dann doch davon überzeugen, dass es zu gefährlich sei, jetzt weiterzulaufen, zumal ich mittlerweile komplett durchgefroren war und auch wirklich gar keine Lust mehr hatte. Der Streckenposten wies mir den Weg zu einer Stelle, wo die Ambulanzfahrzeuge geparkt waren. Ich solle mich an die Leute vom Roten Kreuz wenden, die würden mich dann mitnehmen. Im Ambulanzfahrzeug warteten schon zwei weitere Läufer, die mich mit dem Satz „non sei l’unica“ – „du bist nicht die einzige“ begrüßten. Jetzt hieß es erstmal warten, bis wir endlich losfahren konnten, und ich nahm das Angebot, mich in eine Wolldecke hüllen zu dürfen, gerne an. Über verschneite Schotterpisten ging es weiter bis zur Straße, wo wir plötzlich wieder warten mussten – auf den Minivan des Streckenpostens, der uns wieder nach Loano zurückbringen sollte. Und auch dort hieß es erst einmal warten – auf drei weitere Läufer, die noch unterwegs waren und auch abbrechen wollten. So kam ich dann auch einmal in den „Genuss“, meine Rettungsdecke testen zu dürfen.
Hätte ich allerdings gewusst, dass die Warte- und Transportzeit insgesamt fast 2 Stunden in Anspruch nehmen sollte, wäre ich vielleicht doch weitergelaufen, denn zumindest die Beine waren ok. Dann ging es aber endlich zurück nach Loano, unterwegs ging auf ungefähr 600 m Höhe dann der Schnee in Regen über.
So kam ich dann auch noch zu meinem Schnee-Erlebnis, das ich ja eher am Petit Ballon erwartet hätte. Immerhin hatte ich den höchsten Punkt erreicht und 30 km der Strecke geschafft. Während ich mich im Schnee vergnügen durfte, hatten die Fahrer des Radrennens Mailand – San Remo, das an der Küstenstraße vorbeiführte (unter anderem die Verbindungsstraße Finale Ligure – Loano) ihren Spaß im strömenden Regen – auch nicht angenehmen und auch nicht weniger gefährlich….
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Und da ich hier auch wieder keine vollständigen GPS Daten habe, hier noch die Daten des Veranstalters.