Nach dem DNF beim ZUT und dem Schlechtwetter-Abbruch bei der Zugspitz Trailrun Challenge wollte ich dieses Jahr noch einen alpinen Trail laufen. Spontan fiel die Wahl auf den Pitz Alpine Trail. Als Strecke wählte ich die Marathon Distanz, allerdings die Variante mit Gletscherquerung. Etwas ganz besonderes sollte es sein, denn einen Gletscher hatte ich bisher noch nie überquert. Auch das Rahmenprogramm überzeugte mich: offizielle Gletscherbegehung und Streckentest am Donnerstag, Trailrunning-Symposium mit interessanten Vorträgen, Trailschuhtest und Lauftechnikschulung mit den Profiläufern Albuin Schwarz (Team SCOTT) und Markus Kröll (Salomon) am Freitag.
Donnerstag – Gletschertour und Trail Running Symposium
Meine Anreise am Vortag war etwas beschwerlich, meine Pension nicht gerade gemütlich und noch dazu Regen. Irgendwie fühle ich mich hier nicht so ganz wohl, doch meine Bedenken nach der etwas unglücklichen Anreise sind verfolgen, als ich morgens aus dem Fenster schaue: Strahlender Sonnenschein, ideales Wetter für eine Gletscherbegehung! Ich mache mich auf den Weg zur Liftstation Gletscherexpress. Leider wurde die offizielle Gletscherbegehung vom Pitz Alpine Trail mangels Teilnehmern abgesagt, aber es gibt eine Gletscherwanderung, die ich mitmachen möchte, schließlich war ich vorher noch nie auf einem Gletscher unterwegs. Oben angekommen, stellt sich heraus, dass das eher eine Familienwanderung mit Kind und Kegel ist, und ich beschließe, den Gletscher auf eigene Faust zu erkunden.
Zunächst einmal von der Bergstation zum höchsten Punkt der Strecke, dem Mittagskogel auf 3.100 m. Traumhaft schön! Auch wenn ich die Aussicht nicht vom äußersten Rand aus genießen kann wegen meiner immer noch nicht ganz überwundenen Höhenangst.
Mittlerweile ist es 12 Uhr mittags, bestes Wetter bei strahlend blauem Himmel. Also ab zum Pitzaler Gletscher, nicht dass das Wetter doch noch kippt! Aber nichts dergleichen passiert. Ich schlage den Weg ein in Richtung Braunschweiger Hütte, und irgendwann stehe ich dann auch vorm Gletscher. Der große Moment, nun kann ich endlich meine neuen Snowline Spikes * testen! Ich ziehe die Spikes über und begebe mich, mit Trail-Stöcken bewaffnet, aufs Eis. Wie krass, ich rutsche kein bisschen, der Grip ist einfach fantastisch! Und es macht richtig Spaß, übers Eis zu laufen! Den Weg zu finden ist auch nicht schwer, man muss einfach nur den Markierungen in Form von aufgestellten Stöcken folgen, so ist man auf dem sicheren Weg. Ich blicke zurück und sehe das Wandererpärchen, das vorhin mit mir unterwegs war, immer noch am Rande des Gletschers stehen. Sie haben wohl keine Spikes und trauen sich nicht rüber.
Ich bin mittlerweile am anderen Ende angelangt und schon etwas traurig, dass es bereits vorbei ist, soviel Spaß hat die Eislauferei gemacht! Ob ich es nochmal versuchen soll? Ich beschließe, doch weiterzulaufen. (Wenn ich gewusst hätte, was das Wetter noch für Kapriolen schlagen sollte, hätte ich mich vielleicht anders entschieden).
Also wieder Spikes aus und Aufstieg zur Braunschweiger Hütte. Der gestaltet sich recht unproblematisch, der Abstieg wird allerdings etwas haarig, da teilweise ziemlich ausgesetzt. Ich traue mich – denn am Samstag muss ich auch GENAU DA runter, und dann im Rennmodus – und bin stolz, dass ich es geschafft habe.
Unten angekommen, beeile ich mich ein wenig, um schnell zur Pension zu kommen –denn ab 17:00 soll das Trailrunning Symposium starten, mit einigen Vorträgen, die mich besonders interessieren.
Die Veranstaltung steht unter dem Motto “Verletzungen und Krisen – Aufgeben ist keine Option!” und startet mit einem Vortrag des ehemaligen Alkoholikers Andreas „Rambo“ Ropin, der nun seine Berufung im Extrem- und Ultralauf gefunden hat und Samstag auf der 100 km Strecke starten will. Als nächstes referiert Dr. Christopher Willis, Sportpsychologe über „Verletzung und Krise als Chance“ – aus sportpsychologischer Sicht. Genau darum geht es auch im Videovortrag „One Step“ von Trailrunnerin und Skitourenläuferin Gela Allmann, die während eines Fotoshootings in Island 800 m in die Tiefe fiel und sich langsam wieder ins Leben zurückkämpfte, nachzulesen in ihrem Buch „Sturz in die Tiefe *“
Nach so einem spannenden Abendprogramm und einem leckeren Essen falle ich müde ins Bett und freue mich schon auf die Streckenerkundung am Riffelsee morgen.
Freitag – Testschuhtag am Riffelsee
Leider habe ich wohl meinen Teller nicht ganz aufgegessen, denn es regnet. Und zwar richtig: Es gießt in Strömen. Ob der Testtag nun stattfindet? Bei dem Wetter beschließe ich, mit dem Auto zum Treffpunkt zu fahren und nicht hin zu laufen. Gute Entscheidung. Denn wir laufen nicht hoch, sondern fahren mit der Gondel zur Sunna Alm, wo uns die Ausstellerfirmen schon erwarten. Bei der Nässe ist es mächtig kalt da oben, trotzdem lassen wir uns die Laune nicht vermiesen und drehen eine Runde um den See. Doch was ist das? Der Regen verwandelt sich nun plötzlich in Schnee! Schnee auf 2.300 m? Na das kann ja heiter werden – morgen wollen wir auf über 3.000! Es schneit munter weiter, die Berge im Hintergrund überziehen sich langsam mit einer dünnen weißen Schicht, und es ist bereits die Rede von einer Streckenänderung. Aber vielleicht reißt das Wetter ja wieder auf…
Ich mache mich auf den Weg zur Pension, ab unter die heiße Dusche und warte auf eine Besserung. Doch es regnet und regnet weiter und um 14 Uhr dann die Mail des Veranstalters: Streckenänderung! Gletscherquerung ist gestrichen und P42 Glacier läuft jetzt die gleiche Strecke wie P42 Riffelsee, allerdings werden beide Läufe separat gewertet. Näheres heute Abend beim Briefing. Schade, gerade wegen des Gletschers war ich doch da… Aber das ist natürlich die richtige Entscheidung bei solchen Wetterbedingungen. Zum Glück hatte ich die Gletscherquerung am Donnerstag bei bestem Wetter ja schon vorweg genommen und etwas Gutes hat die Änderung ja: so kann ich immerhin länger schlafen, denn der Start ist nun nicht mehr um 5 Uhr morgens, sondern erst um 9. Humanere Uhrzeit, auch wenn ein Sonnenaufgang in den Bergen einfach etwas Tolles ist…
Beim Briefing sehen wir dann Bilder von der Station auf 2.845m: 15 cm(!) Neuschnee! Unglaublich, gestern sah es da noch ganz anders aus…aber bei dem Wetter möchte ich da oben auch nicht laufen! Der P100 hat jetzt 90 km und der P85 etwa 75 – immerhin, da haben wir Marathonis es ja noch richtig gut, die Streckenlänge bleibt für uns zumindest gleich. Und ein Ende des Regens ist ja auch gemeldet…
Samstag – Das Rennen Pitz Alpine Marathon
Rennmorgen! Der Wecker klingelt um 7 Uhr und ein Blick aus dem Fenster verheißt: Nebel, Nebel, Nebel. Toll. Irgendwie komme ich nur schwer aus dem Bett, und so bin ich auch recht spät dran. Also besser nicht die 2 km zum Start einlaufen, das wird jetzt zu knapp, nehme ich halt das Auto! Es nieselt noch leicht, aber es scheint sich so langsam aufzuklaren. Die Stimmung am Start ist trotz des Wetters top, und nach relativ flachen 500 m zum Einlaufen geht es auch schon ab auf den ersten Trail nach oben Richtung Riffelseehütte. Der obligatorische Stau geht mir heute besonders auf die Nerven, ich finde keinen Rhythmus, die Beine sind schwer von der Vorbelastung, aber vielleicht wird es ja noch besser. Manchmal dauert es bei mir einfach, bis ich warmgelaufen bin…Dieselmodus eben…
Die Läuferin hinter mir spricht mich auf Französisch an und fragt, ob ich Französin sei. Liegt wohl an meinen Armlingen vom Ultra Trail du Haut-Koenigsbourg. „Nein, aber ich laufe sehr viel in Frankreich“, antworte ich. Für mich hat das etwas Vertrautes, denn da ich hauptsächlich in Frankreich auf Trails unterwegs bin, ist Französisch für mich quasi meine „Trailsprache“ geworden. Wir unterhalten uns noch ein wenig, zusammen läuft es sich einfach leichter. Nun kommt auch noch die Sonne raus! Ich krame meine Brille raus und lasse meine Begleiterin ziehen, die später 3. Frau in der Riffelsee Wertung werden soll. Wäre ja cool, wenn das Wetter so bleibt! Doch leider nur von kurzer Dauer, oben an der Sunna Alm ist es recht neblig und kalt. Ich halte mich an der ersten VP nicht lange auf und laufe gleich weiter, am See vorbei, auf den Offenbacher Höhenweg.
Hier kommen die ersten Läufer des P26 an uns vorbei. Wir machen Platz auf den schmalen Trails, um die schnellen Läufer vorbei zu lassen. Ein wenig stresst mich das, denn es bringt wieder etwas Hektik rein, und auch auf den Downhills kann ich es nicht richtig rollen lassen. Für die wesentlich schnelleren P26er mache ich natürlich Platz und das bringt mich selbst wieder total aus dem Rhythmus. Die Wege werden immer matschiger, und nach dem x-ten Wasserloch sind die Schuhe auch so nass, dass sich unterm Fuß die Einlage zu rollen beginnt. Die neuen Peregrine waren doch wohl nicht die beste Wahl, zumindest was das angeht. Die Wege werden ausgesetzter und steiler, nasser und rutschiger und ich schaffe mich vorsichtig voran. Viele habe ich schon ziehen lassen, so richtig wohl fühle ich mich nicht auf solch rutschigen Bedingungen, und ich werde immer langsamer, die Beine wollen auch nicht so recht, das nervt.
Der Nebel breitet sich immer mehr aus, und nun die erste seilversicherte Passage! Diese Stellen flößen mir immer noch Angst ein, obwohl sie eigentlich gar nicht soo schlimm sind, aber unter den Bedingungen machen sie mir eben doch Angst. Ich zögere einen Moment, dann gehe ich doch weiter, erinnere mich daran, dass ich bei meinem Aufenthalt in den französischen Alpen schlimmere Passagen gemeistert hatte. Ein wenig gefrustet bin ich dennoch, so langsam laufen wir durch Schnee, matschig ist es sowieso, und sehen tut man eh nix. In mir kommt der Gedanke ans Aufgeben hoch. Die 26 vollmachen und in Mandarfen aussteigen. Hätte ich doch nur auf den P26 umgemeldet!
Hinter einem Fels sitzt Robert vom Vitaminberge Blog und schießt Fotos von den Läufern. Das muntert mich ein wenig auf – das Lächeln fürs Foto lässt meine Stimmung etwas steigen und meine Laune verbessert sich schlagartig. Die Streckenposten versichern mir, dass der schlimmste Teil nun hinter uns liegt, das tröstet ein wenig. Oben auf dem nun höchsten Punkt der (geänderten) Strecke ein recht winterliches Bild. Und das Anfang August! Ich rutsche die Matschpassagen runter und bin immer noch unschlüssig, ob ich nicht doch aufhören soll nach km 26, wenn es wieder durch Mandarfen geht.
Der Abstieg in Richtung Taschachhaus ist besonders heftig. Schmelzwasser rauscht wie ein Wasserfall die steilen Downhills hinunter. Ein Steinchen hat sich im Schuh verfangen und ich denke immer noch übers Aufhören nach. Aber eigentlich – will ich denn schon wieder ein DNF und dieser unsinnigen DNF-Diskussion (die es so nur in der deutschsprachigen Trail-Szene gibt) selber noch Futter geben? Nein, das will ich eigentlich nicht – Aufgeben ist keine Option! Ich laufe weiter – oder doch nicht??? So ganz im Reinen bin ich noch nicht mit mir. Beim Aufstieg zur Verpflegungsstation (oder wie sie auf Österreichisch so putzig „Labestation“ heißt) laufe ich zusammen mit einem slowakischen Läufer. Er ist ziemlich am Ende und fragt mich, wie weit es noch sei bis Mandarfen. „Ca. 8 km“, antworte ich. Er will aussteigen, es wird ihm zu viel. „Das Schlimmste haben wir bereits hinter uns. Die 2. Runde wird einfacher.“ antworte ich. Und damit spreche ich nicht nur ihm zu, sondern vor allem mir selbst. Und ich merke, wie mich das gerade wieder aufbaut! An der Labestation tanke ich etwas auf – hurra, endlich klappt das mal mit dem Essen! – und entferne den Stein aus meinem Schuh. Ab jetzt geht es erstmal nur bergab Richtung Mandarfen.
Aber der Downhill zieht sich! Es geht zwar stetig runter, aber nicht besonders steil, fast flach. Meine Downhill-Qualitäten kann ich nicht so richtig ausspielen. Das ganze Pitztal ist irgendwie so aufgebaut: man macht die knapp 1000 Höhenmeter vom Anfang bis zum Ende auf knapp 40 km, ganz anders, als ich es von anderen alpinen Regionen, z.B. Alpe d’Huez kenne.
Auf den letzten 500 Metern vor dem Zwischenziel Mandarfen überholt mich ein anderer Marathonläufer. Wo kommt der denn jetzt her? Der sieht gar nicht so aus, als wäre der die ganze Zeit hinter mir gewesen – vor allem, mit dem Tempo, das der jetzt noch drauf hat… Bis es mir dann mal dämmert, dass das einer der schnellen Läufer auf der 2. Runde und auf der Zielgeraden ist… Im Ziel wird er dann auch als 5. Mann ausgerufen.
2. Runde – 15 km „Anfänger“-Trail
Der Glückliche! Für mich ist es noch eine Runde zu laufen, und irgendwie überliste ich mich gerade selbst. Anstatt auszusteigen, versorge ich mich ein wenig an der „Labestation“ und laufe dann einfach weiter! Na also, geht doch. Auch wenn ich über 5 Stunden für diese 26 km gebraucht habe – jetzt kann nix mehr schief gehen!
Ok, zum 2. Mal den Anstieg in Richtung Sunna Alm zu nehmen ist wirklich mühselig. Irgendwann im Aufstieg überholt mich ein schneller Läufer mit einer roten Startnummer. Ich frage ihn, auf welchem Rennen er unterwegs ist – P100. Nachher stellt sich heraus, dass das der erste Mann der 100 km Distanz, Piotr Hercog vom Team Salomon Polen war. Wahnsinn, was der noch für ein Tempo drauf hat! Oben erwartet mich eine nette Überraschung: Eine Gruppe von Wanderinnen feuert mich an. „Endlich mal wieder eine Frau! Bravo!“.
Aber kalt und ungemütlich wird es hier oben und total neblig. Ich freue mich auf die vermeintlich etwas einfachere Strecke, die mit der 15 km Strecke identisch ist. Kann ja nicht so schwer sein, wenn sie für Anfänger ausgeschrieben ist. Weit gefehlt. Schlammlöcher, Matsch, ausgetretene Pfade. Ich frage mich, was für einen Blick man von hier aus normalerweise hat und bin gar nicht mehr so unglücklich darüber, dass es so neblig ist. Scheint ziemlich ausgesetzt zu sein. Als Anfänger-Strecke würde ich das aber nicht bezeichnen.
Irgendwann ist der schwierige Abstieg dann doch gemeistert und es geht auf zum Endspurt auf geschotterten Wegen, den Weg kenne ich auch von meiner letzten Runde auf der P26er Strecke. Nun treffe ich auch wieder auf Rambo, den Vortragsredner vom Donnerstag. Er ist zweiter Mann auf der 100 km Distanz und läuft locker an mir vorbei, während es bei mir nicht mehr ganz so flüssig aussieht. Auch der 3. Mann der Ultradistanz folgt einige Minuten später.
Etwas langsamer als die beiden, aber glücklich erreiche ich das Ziel in Mandarfen. Dort werde ich bereits vom Veranstalter des Laufes begrüßt. Eine sehr nette Geste finde ich: der Rennchef wartet im Ziel und beglückwünscht alle Finisher höchstpersönlich. Auch die Medaillen gibt es nur vom Chef selber. Ich bin froh und überglücklich, es geschafft zu haben – so stolz war ich noch nie bei einem Marathon Finish, auch wenn ich hier recht weit hinten gelandet bin.
Trotzdem fühle ich mich wie ein Sieger: ich habe es geschafft, bin heil angekommen und habe die Selbstzweifel, meine Höhenangst und all die anderen Hindernisse auf diesem Weg besiegt. Ein lehrreicher Kurztrip, in dem ich mir selbst vielleicht auch ein Stückchen näher gekommen bin. Ein teures Vergnügen vielleicht, aber es hat sich gelohnt!
Sebastian
Hey, toller Bericht. Dank dafür. Ich glaube, nein ich weiß, dass wir uns in der ersten Runde immer mal wieder gesehen haben. 🙂 Meine Eindrücke vom Lauf decken sich mit Deinen. Das war ein hartes Stück Arbeit. Falls Du ihn lesen magst, hier mein Text: http://rose.fm/pagt-16-expect-the-unexpected/
Martina
Hallo Sebastian! Danke Dir für Deinen tollen Bericht! Unsere Eindrücke sind in der Tat recht ähnlich – und ich glaube auch, dass wir uns auf der Strecke ein paarmal begegnet sind 🙂 Um das Murmeltier beneide ich Dich, ich hab leider keins gesehen… Vielleicht sehen wir uns ja 2017 – denn ich habe meine Spikes ja auch noch kaum nutzen können 🙂 LG Martina
Gerhard
Sehr netter Bericht – hoffe dich 2017 auch im Ziel persönlich begrüßen zu dürfen. Ok Chef Gerhard
Martina
Danke Gerhard! Mein Plan für 2017 ist noch nicht gemacht, aber der Pitz Alpine ist auf jeden Fall eine Wiederholung wert 🙂 LG Martina