Früher war Mallorca für mich eine reine Radfahrer-Insel. Früher, das heißt vor der Entdeckung meiner Leidenschaft fürs Trailrunning, bevor ich die Faszination Trail für mich entdeckt hatte. Ich war nie ein reiner Straßenläufer, immer zog es mich mehr in den Wald. Und davon hatte ich bei meinen Aufenthalten auf Mallorca bisher nicht so viel gesehen. Ich kannte bloß ein paar langweilige Straßenstrecken und Strandpromenaden, und hatte von der vielen Asphaltlauferei bei meinen Insel-Aufenthalten immer wieder irgendwelche orthopädischen Probleme. Wenn ich dann mal etwas entdeckt hatte, was ein bisschen nach Wald aussah, prangte auch gleich ein Schild davor: „Coto privado de caza“ – „Privates Jagdgelände“ stand da drauf. Super. Also wieder Straße oder Radweg. Und wenn ich mal ein frei begehbares Waldstück entdeckte, war das so klein oder so wenig laufbar (für meine damaligen Verhältnisse), dass es für mich auch keine Option war. Das änderte sich schlagartig, als ich meine Liebe fürs Traillaufen entdeckte. Plötzlich konnte es mir nicht mehr steil genug sein, die Pfade nicht schmal genug, die Passagen nicht technisch genug. Mit diesem neuen Anspruch an meine Laufstrecken kam mir dann auch wieder in Erinnerung, wie sehr mich die Serra de Tramuntana fasziniert hatte, seit ich sie das erste mal bei einer Spazierfahrt im Auto eines Bekannten halbwegs aus der Nähe gesehen hatte. Ich erinnerte mich dann auch daran, dass ich damals dachte, hier irgendwann einmal wandern zu wollen. Für meinen nächsten Aufenthalt besorgte ich mir eine Wanderkarte für die Tramuntana – übrigens eine der besten Wanderkarten, die ich jemals hatte – und erkundete Wege in der südlichen Tramuntana, rund um die Finca Galatzó und den Mola de s’Esclop. Entgegen meinen damaligen Plänen war ich halt nur nicht als Wanderin unterwegs, sondern genoss in vollen Zügen das Trailrunning.
Wenn man dann im Netz anfängt, sich mit dem Thema zu befassen, findet man natürlich die spannendsten Dinge und dazu gehörte auch ein Foto-Bericht vom Ultra Mallorca Serra de Tramuntana, der mich sofort total begeisterte. „Den muss ich irgendwann laufen.“ Dass das schon ein Jahr später der Fall sein würde, konnte ich mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorstellen. Schließlich hatte ich es ja noch nicht einmal gewagt, die Ultradistanz des Hartfüssler Trails anzugehen. Doch kaum war die Anmeldung im September 2013 eröffnet, hatte ich mir schon meinen Startplatz für Mallorca gesichert.
Bei dem Rennen gibt es zwei Distanzen: den Ultra Mallorca (UMSDt) mit 114 km und 4.500 m D+ und den Trail Mallorca (TMSdt) mit 67 km und 2.500 m D+. Der Ultra startet nachts um 0 Uhr in Andratx, der Trail morgens um 8 Uhr in Valldemossa. Ab dort sind beide Strecken identisch. Die Strecke verläuft über den Fernwanderweg GR221, die Ruta de Pedra en Sec (Trockensteinmauerweg) durch die Serra de Tramuntana, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Hier gibt es steile Anstiege und Geröllpassagen zu meistern, teilweise ohne Schatten in der Mittagssonne oder – wie beim Ultra nachts im Dunkeln. Technisch ist die Strecke also recht anspruchsvoll, deshalb gibt es beim Ultra auch ein Zeitlimit von 24 und beim Trail ein Limit von 16 Stunden. Ziel für beide Distanzen ist Pollença.
Für mich ging es um 8.00 Uhr in Valldemossa los, denn ich hatte mich für den Trail, also die Kurzversion entschieden. Mir war klar, dass das der längste Lauf würde, den ich bisher gemacht hatte und war dementsprechend aufgeregt. In der Nacht davor konnte ich deshalb kaum schlafen, zudem hatte ich im Hotel noch das Zimmer direkt neben dem Fahrstuhl erwischt. 🙁 Nach nur 4 Stunden Schlaf hieß es für mich also um 4 Uhr wieder aufstehen, denn ich musste ja um 5:45 beim Shuttle Bus sein, der mich von Pollença nach Valldemossa bringen sollte. Nach der fast einstündigen Busfahrt, während der ich auch ein paar Mal eingedöst war, konnte ich mir nicht vorstellen, fast 12 Stunden durch die Gegend zu laufen. In Valldemossa dann noch ein Stunde warten, und endlich, endlich ging es los. Start war dieses Jahr in den Jardines de la Cartuja. Von dort aus ging es gleich schon extrem steil nach oben, zum Glück noch frühmorgens im Schatten, bis hoch zum Camí de s’Arxiduc, dem alten Reitweg des Erzherzogs Ludwig Salvator, eine meiner Lieblingsstrecken übrigens.
Oben angekommen, mussten wir auch schon wieder runter, von 920 m auf 70 m ü. NN, in Richtung Deià, wo sich die erste Verpflegungsstation befand. Der Weg nach unten beinhaltet einige sehr technische Passagen, an einer besonders gefährlichen Stelle hatte der Veranstalter gar Warnschilder aufgestellt. Ein Stück weiter unten erwarteten uns einige Streckenposten in lustigen Piratenkostümen und mit Schlauchboot ausgestattet, mitten in den Bergen! Überhaupt war die Stimmung an der ganzen Strecke einfach nur genial. Vorbeilaufende Wanderer und Zuschauer feuerten uns mit Rufen wie „Animosss!“ und „Gasss!“ an, hier könnte sich selbst so mancher Straßenmarathon ein Deutschland eine Scheibe abschneiden. Deià (km 13) erreichte ich nach 2:09:58 h, mit einer Stunde Luft zum Zeitlimit.
Das Teilstück Deià – Sóller war vergleichsweise unspektakulär, mit einem kleinen, aber feinen Anstieg über den Camí de Rost, bis nach km 22,8 Sóller erreicht war. In Sóller wurden wir von vielen begeisterten Zuschauern empfangen, noch dazu war Wochenmarkt. Dort ging es quer durch die Straßen von Sóller, bis zur 2. Verpflegungsstation, wo ich mich mit Cola stärken und mit Wasser über den Kopf erfrischen konnte, mittlerweile war es schon ziemlich heiß geworden. Nach 3:31:24 Stunden hatte ich diesen Punkt erreicht, womit ich mir bereits 2 Stunden Puffer zum Zeitlimit herausgelaufen hatte.
Jetzt wurde es spannend. Denn hinter Sóller wartete der steile Anstieg (durchschnittlich 13% auf 6 km) der Barranc de Biniaraix, eine der beeindruckendsten Felsschluchten auf der Insel. Doch dieser Anstieg hat es in sich. Schattige Stellen wurden immer seltener, und die Sonne brutzelte immer weiter von oben. Ich nutzte jede Gelegenheit, meinen Kopf mit Wasser zu kühlen, und andere taten es mir gleich. Manch einer steckte gar mal schnell den Kopf in einen Brunnen. Nun machte sich doch die Müdigkeit bemerkbar, noch dazu spürte ich eine gewisse Übelkeit durch die Hitze, und obwohl ich eigentlich Energie hätte zuführen müssen, widerstand mir alles, was ich an Verpflegung bei mir hatte. Also weiter mit Wasser, meinem hochverdünnten Vitargo-Gemisch und einer Salztablette. Zwischendurch musste ich mich öfter mal kurz hinsetzen – aber nein, das war mein Highlight des Jahres, mein Event, auf das ich mich so lange gefreut und vorbereitet hatte. Also weiter!
Auf den folgenden Flachstücken konnte ich mich gut erholen, am Stausee Cúber über die roten Schafe lachen und bei km 35 dann an der Verpflegung weitere Kräfte tanken. Die brauchte ich dann auch ab km 40, denn nun ging wieder hart zur Sache im Anstieg zum Coll des Prat de Massanella, dem höchsten Punkt der Strecke (1205 m). Dieser Teil der Strecke war dann komplett ohne Schatten, und die Nachmittagssonne brutzelte bei gefühlten 28°C auf uns herab. Da war sie wieder, diese entsetzliche Übelkeit! Auch die Müdigkeit kam zurück, und ein paarmal musste ich anhalten und mich hinsetzen. Am liebsten hätte ich mich jetzt einfach auf einen Stein gelegt und geschlafen! Viele Läufer zogen an mir vorbei, aber ich ließ sie ziehen. Eine Frau rief mir zu: „¡Vamos, niña, vamos!“ Ich ließ mich wieder motivieren und schaffte es irgendwie über den Coll des Prat, den Gebirgspass, der unterhalb des Gipfels des zweithöchsten (bzw. des höchsten frei begehbaren) Berges der Insel, des Puig de Massanella (1364 m), vorbeiführt. Nach einem weiteren kurzen Anstieg ging es endlich steil bergab in Richtung Kloster Lluc über den Camí de ses Voltes d’en Galileu. Irgendwie hatte ich im Hinterkopf, dass dieser Punkt bei km 45 erreicht sei. Das war allerdings beim Streckenverlauf im Jahr 2013 so, 2014 erst bei km 49. Immer noch schlapp kämpfte ich mich langsam den Weg nach unten und fragte mich nach jedem km, wo denn bloß das blöde Kloster sich versteckt hätte.
Nach dem Kloster kam der einfachste Teil der Strecke, den ich bereits schon einmal abgelaufen war und der mir deshalb auch schon vertraut war. Jetzt konnte ich endlich wieder laufen und Stück für Stück auf den folgenden 7 flachen Kilometern selbst mal wieder andere überholen- ein echt gutes Gefühl nach den schwachen Phasen und der Quälerei in den Stunden davor. Auf den letzten beiden Kilometern wollten meine Beine zwar streiken, aber darauf hatte ich dann ja grad mal gar keine Lust und so wurden die Beine zum Schweigen verdonnert…
Dann war endlich, endlich, endlich die Innenstadt des Zielorts Pollença erreicht. In den engen Gassen stauten sich auf beiden Seiten die Zuschauer, und feuerten die Läufer an. Eine Wahnsinns-Stimmung, die ich schon einmal im Jahr zuvor beim Pollença Halbmarathon erlebt hatte, doch das hier war noch viel besser! Und erst der Zieleinlauf: Für jeden Läufer – egal ob erster oder letzter – wurde das Finisherband erneut aufgespannt. Ein fantastisches Gefühl nach harten 11:35:55 selbst durch dieses Band zu laufen. Ein unvergessliches Erlebnis und dank des tollen Zieleinlaufs ist hier jeder Finisher ein Sieger!
Sieger des Trail wurde der Mallorquiner Tòfol Castanyer in unglaublichen 5:49:25, mit mehr als einer Stunde Vorsprung zum Zweitplatzierten! Erste Frau wurde Nuria Julian Sada in 8:27:52. Ich lag mit meiner Zeit auf Platz 501 von 848 Finishern (45. von 125 Frauen), die ganzen Abbrecher nicht mitgerechnet. Also gar nicht mal so schlecht 🙂
Wer überlegt, den Trail zu laufen, sollte sich ab Eröffnung der Anmeldung (letztes Jahr war sie Ende September) beeilen, denn der Lauf ist sehr schnell ausgebucht! Starter der Ultradistanz können sich etwas mehr Zeit lassen, normalerweise gibt es hier bis Anmeldeschluss Ende März immer noch jede Menge freier Startplätze.
Den 18.04.2015 habe ich bereits ganz fett in meinen Kalender eingetragen, denn ich habe mir vorgenommen, mich dann auf die 114 km Ultra Distanz zu wagen!
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