Eigentlich hatte ich ja für 2016 eine Revanche am Mont Blanc geplant, wo ich letztes Jahr leider auf der 80 km Strecke aufgeben musste. Terminlich passte es aber wegen meiner Yogalehrer Ausbildung nicht rein und so entschied ich mich für den Zugspitz Ultratrail. Ich kannte die Gegend noch nicht, und außerdem – das Klassentreffen der deutschen Trail Szene wollte ich auch einmal selbst miterleben.
Über die Streckenlänge, die ich laufen wollte, war ich mir anfangs noch nicht im Klaren, aber der Veranstalter hatte ja die etwas teurere Flexrate im Angebot, bei der man sich erst bei der Startnummern Abholung entscheiden musste. Allerdings war dennoch schnell für mich klar: Die 100 km Strecke sollte es sein!
Für mich – mal abgesehen vom Hartfüßlertrail und ein paar kleineren lokalen Events quasi eine Premiere auf deutschem Boden, denn in der Regel bin ich meist auf Trail-Veranstaltungen in Frankreich anzutreffen. Und ich muss sagen: ich war angenehm überrascht von der Schönheit der Landschaft und der Herzlichkeit der Einwohner.
Um die Strecke machte ich mir weniger Sorgen: klar, 101 km sind ein Brett, noch dazu der erste Teil würde von den Höhenmetern her nicht einfach werden. Aber ich war ja gut vorbereitet und in der Vorwoche hatte ich auch ausreichend geschlafen (was nicht immer der Fall war). Was die Verpflegung angeht, machte ich mir etwas mehr Sorgen, schließlich war das mein großes Manko bisher bei den langen Events, dass ich es irgendwie nie geschafft hatte, richtig zu essen während dem Lauf. Aber diesmal würde ich mich eben dazu zwingen! Auch das Wetter machte mir ein wenig Sorgen, aber immerhin sagte der Wetterbericht Regen erst ab dem späten Nachmittag voraus.
Bestens gerüstet war ich ja, und nach dem, was ich bis jetzt über die Strecke gehört hatte, sollte sie zumindest vom technischen Anspruch her nicht allzu schwer sein. Die Diskussion über die Pflichtausrüstung kann ich übrigens nicht nachvollziehen: Angemessen und absolut notwendig für solche Strecken in alpinem Gelände. Bloß das umfangreiche Erste-Hilfe-Paket fand ich ein klein wenig übertrieben. Das hatte ich auch erst vollkommen übersehen (weil ich es von anderen Trails nicht kannte) und in ganz Garmisch waren in den Apotheken die Dreieckstücher ausverkauft… Zum Glück fiel mir rechtzeitig noch der Verbandskasten im Auto ein, der wirklich alles nötige Equipment enthielt 😉
Am Vorabend zum Briefing herrschte im Festzelt trotz Starkregen und Hagel draußen tolle Stimmung, und nach guter bayrischer Tradition gab es eine Darbietung im „Goaßlschnalzen“. Nicht ganz jedermanns Sache, vor allem für Zuschauer aus dem Norden, aber eine schöne Gelegenheit, auch mal die ansässigen Sitten und Gebräuche kennenzulernen.
Am nächsten Morgen startete ich gemeinsam mit meinem Laufpartner Thorsten, mit dem ich mich vor einigen Monaten zum ZUT verabredet hatte, und meinen Hartfüßler-Trail-Kollegen pünktlich um 7:15 bei strahlendem Sonnenschein. Super Wetter und gigantische Stimmung in Grainau – ein perfekter Start in den langen Ultra-Tag!
Locker einlaufen am Anfang, vorbei am Einstieg zur Höllentalklamm, über relativ breite und gut zu laufende Forstwege mit tollem Ausblick auf das Wettersteingebirge. Schade, dass der Start erst um 7:15 war – ein früherer Start mit den Bergen im Morgengrauen wäre wunderschön gewesen! Bei km 12, kurz nach der ersten VP dann der erste richtige Anstieg. Hier zeigte sich, dass Thorsten ein besserer Bergaufläufer war und ich ließ ihn ziehen. Der nächste Downhill kam auch bald, mittlerweile auf österreichischem Staatsgebiet, und nun war es an mir, zu überholen. Downhillen ist eben meine Spezialität! 🙂 So ist das bei mir immer: beim Aufstieg laufen alle an mir vorbei, bergab ist es andersrum!
So auch beim Downhill zu VP 2, wo ich mich allerdings nicht lange aufhielt, nur kurz etwas Wasser nachfüllen. Ups, eigentlich wollte ich doch etwas essen! Bei VP 1 hatte ich doch immerhin ein Viertel Riegel gegessen, und so schob ich gleich noch ein Viertel hinterher. Nach einem kurzen knackigen Aufstieg durch den Wald über eine echte Schlammpassage (bei der ich echt froh über meine Stöcke war) schob ich dann mal noch ein Gel hinterher. So wirklich gut war es also mit meiner Nahrungsaufnahme noch nicht gelaufen und ich fühlte mich muskulär ein wenig schlapp – und das erst nach 25 km! Und die bösen Anstiege kamen jetzt erst! Ich fragte mich zum ersten Mal, warum ich mir das überhaupt antue – Supertrail oder Supertrail XL wäre vielleicht doch besser gewesen…
Zum Glück holte mich hier Thorsten wieder ein und wir liefen das Stück zu VP3 gemeinsam. Zu zweit läuft es sich einfach besser, die Motivation war wieder da. Etwas Obst zur Stärkung am VP, und nun setzte leider – viel zu früh bereits nach 4 Stunden – schon der Regen ein. Also Regenjacke überziehen, so wie ich es von Dawa Sherpa beim Mont Blanc Marathon gelernt habe, über den Rucksack. Hat den Vorteil, dass man beim Jacke anziehen nicht auskühlt, die Jacke schneller an- und ausgezogen ist und vor allem die Luft besser zirkulieren kann und der Rucksack nicht nass wird. Nachteil ist allerdings, dass man hier schlechter an die Verpflegung rankommt, wofür ich aber mittlerweile eine Lösung gefunden habe – schade, dass sie mir vorm Lauf nicht eingefallen war…
Nun ging es ans Eingemachte, denn der erste heftige Anstieg kam. Thorsten wieder vorne weg, und der Regen wurde stärker. Wir durchquerten eine Schafherde, die Tiere waren wohl ganz irritiert von den vielen bunten, langsamen Schafen mit den Stöcken, die sich bei dem Wetter den Berg hinauf quälten.
Die Anstiege wurden auch immer steiler, es begann zu graupeln und es wurde deutlich kühler und nebliger. So langsam verwandelte sich die Strecke in eine Matschpiste, und wir überquerten einen Abschnitt, der vom Veranstalter als besonders gefährlich gekennzeichnet war – ich nehme einmal an, dass hier der Weg ziemlich ausgesetzt war – sehen konnte man es aber dank des Nebels nicht… so langsam begann ich zu frösteln in meiner kurzen Hose und war froh, als bald darauf ein kleines Plateau erreicht war, wo ich meine Regenhose überziehen konnte. Übrigens mit Hilfe eines freundlichen Streckenposten, denn mit Schuhen an den Füßen ist sowas gar nicht so einfach. Hier nochmal danke für die Hilfe! Überhaupt waren die Helfer an der Strecke sehr freundlich und hilfsbereit, und anders als die „Sensenmänner“ vom Trail du Vélan in ihren schwarzen Capes in lebensbejahende rote Anoraks gekleidet 🙂 So gegen die Kälte geschützt lief es sich gleich schon viel besser und der – wenn auch etwas unspektakuläre – höchste Punkt war bald erreicht. Hier hat man sicher bei gutem Wetter eine grandiose Aussicht, aber bei der Suppe…
Bei den Bedingungen wollte ich nur so schnell wie möglich weiter und kam deshalb auch nicht zum Fotografieren, mein Laufkollege Hendrik vom Hartfüßlertrail hat mir freundlicherweise aber einige seiner Fotos zur Verfügung gestellt – wie auch das Bild vom Schneefeld, das man nun hinunter musste. Nicht ganz so lang und steil wie das am Mont-Blanc letztes Jahr, aber meine Taktik war die gleiche: wenn ich eh schon rutsche, dann auch gleich richtig! Auf den Hintern gesetzt und ab ging die Rutschpartie! Hier erwies sich meine Regenhose übrigens auch als echter Glücksgriff.
Noch ein paar schlammige Downhills und Wasserlöcher, fast so schlimm wie beim Moselotte Trail, und endlich wieder ein laufbarer Teil! Ich war ganz froh über den Downhill auf der Schotterpiste und ließ es richtig rollen. Von muskulären Beschwerden nix zu spüren, die Beine waren wieder richtig fit, und nun kam auch noch die Sonne raus!
Endlich V4 nach über 8 Stunden erreicht, hier traf ich auch Thorsten wieder. Essen: naja, so ein bisschen was, aber nicht so der Brüller. Viel ging leider nicht rein, aber ich fühlte mich doch gut, war fit, konnte wieder richtig laufen. Zu früh gefreut. Denn nun wartete ein weiterer Hammeranstieg auf uns, hinauf in Richtung Scharnitzjoch. Von knapp 1.400 m hoch auf 2.048. Uff. Am Anfang noch recht flach und harmlos, aber plötzlich lief es gar nicht mehr so gut – so, als hätte jemand den Stecker gezogen.
Immer mehr Läufer überholten mich nun, nicht besonders motivierend. Aber ich sagte mir: „Nur ein kleines Tief, nur noch dieser Anstieg, dann rollen lassen ins Tal zu V5, wo mein Dropbag mit frischen Klamotten auf mich wartet.“ Immer steiler wurde es nun, und nun fing es auch wieder zu regnen und zu graupeln an! Endlich oben angekommen, pausierte ich kurz, dann der Abstieg ins Tal, 5 km, die sich hinzogen wie Kaugummi. Immer wieder durch kleine Sturzbäche und Wasserlöcher durch, die Füße waren eh schon nass, was solls. Unten warteten ja meine Wechselschuhe auf mich.
Aber irgendwie machte das ganze immer weniger Spaß. Der andauernde Regen, hungrig und müde, die Aussicht, jetzt noch weitere 10-12 Stunden unterwegs zu sein bei dem Wetter und in der Dunkelheit. Noch dazu kam bald der Teil der Strecke, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte: relativ flach, zum Teil auf der Straße, viel auf Forststraßen unterwegs. Irgendwie lockte mich das gar nicht. Ich hatte noch viel Zeit zum Cutoff und hätte den Rest auch wandern können – nur WOZU? Um dann irgendwann mitten in der Nacht oder frühmorgens anzukommen, um sagen zu können: Ich habe fertig? Finisher Medaillen habe ich genug, beweisen muss ich auch nix, und ich habe bereits 100km Läufe und auch schwerere Läufe gepackt. Aber der Spaß war weg – und das ist doch eigentlich das, weshalb ich das mache! Natürlich, gegen Motivationslöcher ankämpfen, das gehört dazu zum Ultralaufen – aber das hier war was anderes. Mir wurde klar, dass ich den Spaß daran verliere, wenn ich mich so rumschlufernd durchquäle. Wenn ich wandern gehen will, dann gehe ich wandern, einen Trail will ich laufen und nicht erst kurz vor Cutoff beenden. Ich will mich nicht rumquälen müssen, dann könnte ich ja auch 100 km auf der Bahn laufen 😉
Lange Rede, kurzer Sinn: an V5 meldete ich mich vom Rennen ab, und fuhr mit Robert, der dort auf mich wartete, zurück zum Apartment. Viele taten es mir übrigens dort gleich und stiegen aus, sämtliche Shuttlebusse waren voll. Gute Entscheidung: denn kurz danach setzte der Starkregen ein, der noch die ganze Nacht fortdauern sollte.
Gratulation an alle, die es geschafft haben! Mein Laufpartner Thorsten kam übrigens nach genau 24 Stunden ins Ziel – auch hier nochmal Glückwunsch und viel Erfolg bei den 100 Meilen Berlin!
Trail ist nicht gleich Ultra und DNF ist nicht gleich Versagen oder eine Schande. DNF = Did Not Finish oder vielleicht auch Did Not Fail? Besser als Finish um jeden Preis und auch mal ein Anstoß, was man beim nächsten Mal anders machen könnte.
Für meinen Fall heißt das zum Beispiel, so lange das mit dem Essen nicht klappt, erstmal keine Läufe mehr zu machen, wo ich voraussichtlich mehr als 20 Stunden unterwegs sein werde. Dann lieber kürzere Distanzen oder schneller laufen (oder beides 😉 )
Klar, so ein DNF hinterlässt immer einen schalen Beigeschmack, aber die Welt geht davon auch nicht unter und ein schlechterer Läufer ist man dadurch auch nicht. Ich freue mich jedenfalls schon auf die nächsten Trailabenteuer – mein Urlaub in den französischen Alpen, mein erster Double Vertical (7 km mit 1.900 Hm) und zu meinem Geburtstag werde ich mir noch einmal die Zugspitze vornehmen: Diesmal ganz nach oben – bei der Zugspitz Trailrun Challenge! 🙂
Markus
hi, ich ich habe bei 80km und 16std. beschlossen aufzuhören, mir ist es zu riskant geworden im dunkeln bei starkregen noch 1000hm bergauf und bergab zu laufen.1 unachtsamer moment und was dann..?. die bergwacht könnte mir bei diesen wetterverhältnisse auch nicht helfen. DNF ist echt keine schande!.meine familie und freunde haben sogar noch mehr achtung vor der entscheidung nicht zu finnischen, als zu finnischen unter solchen unwetterverhältnissen (wir verdienen kein geld damit).
Martina
Hallo Markus,
da hast Du recht – es ist ein Hobby und soll ja auch Spaß machen. Wenn es zu gefährlich wird, ist es auf jeden Fall besser aufzuhören! Gesundheit geht vor!
LG Martina
Jens
Wow – ein toller Bericht und eine gute Entscheidung. Ging mir beim „Dolomiti Extreme Trail“ vor zwei Wochen auch so: Ausstieg aus Vernunft-Gründen und der Überlegung, dass es unser Hobby ist. Und wenn der Spaß am „sich quälen“ einfach nicht da ist, muss man sich auch nichts (mehr) beweisen… Gute Regeneration und tolle weitere Läufe – ob mit oder ohne Finisher-Medaille!
Martina
Hallo Jens!
Danke für Dein Feedback! Wünsche Dir auch eine gute Regeneration vom Dolomiti Extreme Trail und viel Spaß auf Deinen kommenden Läufen!
Sonnige Grüße aus Alpe d’Huez
Martina
Fanger Adrian
Hallo Martina
Gut geschrieben. Und ehrlich gesagt – ein DNF wird ja meistens nur von Nichtläufern negativ gewertet. Denn ein Läufer weiss, wieviel an einem Lauf (und bei einem Ultra erst recht) von der Tagesform abhängt. Zudem macht ein DNF nur stärker. Ich benötigte für den Basetrail XL zwar knapp über 8h, hatte diverse Diskussionen mit dem inneren Schweinehund aber war kurz nach der Dusche bereits im reinen mit dem gesamten Anlass – zumindest bis zum Aufstehen am Sonntag Morgen :-).
Viel Spass bei Deinen weiteren Läufen und sportliche Grüsse, Adi
Martina
Hallo Adi,
vielen Dank für Deinen Kommentar und Glückwunsch zum Finish! Du hast recht, meist sind das Leute, die sich gar nicht vorstellen können, was so ein Ultra wirklich bedeutet. Bei Straßenläufern habe ich das auch schon erlebt, die maximal bis Marathon laufen – wo sie ja in der Regel nicht länger als 4 Stunden unterwegs sind. Im Ultra-Bereich sind es sogar ja oft auch die Profis, die aussteigen, wenn es nicht mehr geht. Von daher: zwar schade, dass es nicht geklappt hat, aber das nächste Mal wird dafür wieder besser.
Wünsche Dir auch viel Erfolg bei Deinen kommenden Läufen!
LG Martina
Heinz Ritschard
Toller Bericht und gute Entscheidung…
Ich habe mich ins Ziel gequält aber schlussendlich hat es für mich gepasst so… Auch wenn ich sehr enttäuscht war über meine Zeit…. Aber war wohl nicht so einfach mit den Wetterbedingungen….
In 3 Wochen geht’s bei mir weiter mit dem EUT 101… hoffentlich genug Zeit für die Erholung ??✌?und hoffentlich mit besserem Wetter ☀☀☀☀
Weiterhin gute Saison für dich!!!!
Martina
Danke! Du bist doch ne super Zeit gelaufen bei den Bedingungen! Wünsche Dir viel Erfolg und gutes Wetter für den Eiger und vielleicht sehen wir uns ja demnächst mal wieder auf dem Trail 🙂 Wünsche Dir auch noch eine tolle Saison, Du hast ja noch einiges vor 😉